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Enquete "50 Jahre Mariazeller Manifest" im Parlament
Was bedeutet "Freie Kirche in einer freien Gesellschaft" heute?
Wien (pk) - Aus Anlass des Jubiläums "50 Jahre Mariazeller Manifest" fand am Montag (07. 10.) im Parlament eine Enquete statt, zu der Nationalratspräsident Heinz Fischer und der Katholische Laienrat Österreichs einluden. Das "Mariazeller Manifest" entstand in Vorbereitung des ersten gesamtösterreichischen Katholikentages nach dem Krieg, der im Herbst 1952 unter dem Motto "Freiheit und Würde des Menschen" in Wien stattgefunden hat.
Anfang Mai 1952 trafen in Mariazell Priester und Laien aus allen österreichischen Diözesen mit Expertinnen und Experten der verschiedensten Bereiche zu einer vorbereitenden Studientagung zusammen "um in voller Freiheit zu beraten, ohne gebundene Marschroute und ohne Regie, verpflichtet nur dem gemeinsamen Glauben". Anliegen und Ergebnisse der Studientagung wurden dann unter dem Motto "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" in dem Bericht zum "Mariazeller Manifest" zusammen gefasst. 50 Jahre nach dem Manifest, das das Ende jeglicher parteipolitischen Bindung der Katholischen Kirche Österreichs bedeutete, befassten sich heute die Teilnehmer der Enquete im Parlament mit der Frage nach der Positionierung der Kirche in der aktuellen rechtlichen und politischen Realität Österreichs und erörterten vor allem die Rolle einer "freien Kirche in einer freien Gesellschaft".

Fischer würdigt Neupositionierung der Kirche nach dem Krieg
Nationalratspräsident Heinz Fischer, der die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Bereichen Kirche, Politik und Medien begrüßte, erinnerte an die leidvollen Erfahrungen aus der Ersten Republik und meinte, der Grundsatz "Freie Kirche in einer freien Gesellschaft" sei nicht immer selbstverständlich gewesen. Die enge Bindung der Kirche an die Christlichsoziale Partei habe zu einem Antagonismus zwischen der Sozialdemokratie und der Kirche geführt, der erst nach dem Krieg durch die Neupositionierung der Kirche ausgehend vom Mariazeller Manifest, aber auch durch Persönlichkeiten wie Kardinal König, Bruno Kreisky und Anton Benya überwunden werden konnte.

Wenn heute über die Rolle der Kirche in Staat und Gesellschaft nicht mehr so intensiv diskutiert werde wie noch vor 25 Jahren, so könne dies, wie Fischer meinte, auch als positives Zeichen aufgefasst werden. Bestimmte Prinzipien, die mühsam erkämpft wurden, hätten sich mittlerweile so durchgesetzt, dass sie gar nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden. Österreich habe die Lehren aus der Geschichte gezogen, die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche stehe heute auf einer vertrauensvollen und positiven Basis, betonte Fischer.

Wolfgang Rank, der Präsident des Katholischen Laienrates Österreichs, meinte in seinen einleitenden Worten, die Veranstaltung habe sich zum Ziel gesetzt, die geschichtliche Bedeutung des Mariazeller Manifestes für die Entwicklung des Verhältnisses von Kirche und Gesellschaft zu erörtern, dazu aber auch politische und theologische Fragen zu bedenken. "Freie Kirche in einer freien Gesellschaft" werfe die immer aktuellen Fragen "Freiheit wovon?" und Freiheit wozu?" auf.

 
Liebmann über Kulturkampfthemen Eherecht, Schulwesen, Finanzen
Universitätsprofessor Maximilian Liebmann, Kirchenhistoriker an der Universität Graz, beleuchtete die drei Kulturkampf-Themen Eherecht, konfessionelles Schulwesen und Kirchenfinanzierung aus geschichtlicher Sicht, beginnend mit 1867 und dem Bemühen der Liberalen, das Konkordat 1855, das die katholische Kirche förderte und verherrlichte, zu annullieren. In seinem Rückblick kam Liebmann auch auf die Bischofskonferenz 1868 zu sprechen, die in Beschlüssen festgelegt hatte, dass die Ehe nur vor Gott geschlossen werde und in Zivilehe Lebende öffentliche Sünder seien, auf die Maigesetze 1868 sowie auf die "schweren Geschütze" von Papst Pius IX. gegen das Staatsgrundgesetz 1867 und die Maigesetze 1968 und auf das Ende der konfessionellen Gesetzgebung und den Anfang für ein neues Bündnis von Thron und Altar bzw. Kirche und Staat durch die konfessionellen Gesetze 1874.

1938 wurde schließlich die obligatorische Zivilehe, obgleich die Bischöfe dagegen protestiert hatten, eingeführt, in den Sommermonaten wurden die konfessionellen Privatschulen abgeschafft, der Religionsunterricht erschwert bzw. eingestellt und die theologischen Fakultäten an den Universitäten geschlossen. Auch das Kulturkampfthema Kirchenfinanzierung wurde 1939 radikal gelöst: Die Kirche wurde zum privaten Verein und ein Kirchenbeitragssystem wurde ihr aufoktroyiert. Laut Liebmann ist die katholische Kirche aus der NS-Herrschaft verjüngt hervorgegangen und Endergebnis war, wie Kardinal Innitzer 1946 formulierte, der Wille, das Verlangen nach dem freien Wirken der Kirche in einem freien Staat. Auf parlamentarischer Ebene fand dies seine politische Krönung am 12. Juli 1960, als der Wiener Stadtschulratspräsident Max Neugebauer das Ergebnis des österreichischen Kulturkampfes für die Sozialdemokraten in Worte gefasst hat.

Potz: Mariazeller Manifest brachte Paradigmenwechsel
Der Wiener Kirchenrechtler Univ.Prof. Richard Potz sieht in der Betonung der freien "Gesellschaft" - und nicht des "Staates" - eine Abwendung vom Staatskirchenrecht und damit einen Paradigmenwechsel. Es gehe dabei nicht mehr um eine Frage des internen Ausgleichs, angesprochen seien vielmehr allgemein Fragen des Religionsrechts, der Religions- und Gewissensfreiheit, der Gesamtheit der Religionen und nicht allein des Verhältnisses von Staat und Kirche zu einander. Anders als im Modell der Trennung von Staat und Kirche, die speziell in Europa ein gegen die Kirche gerichtetes Konzept verfolgt habe, sei das Mariazeller Manifest dem Konzept der Entflechtung verpflichtet.

Der Redner bot einen historischen Rückblick auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im 19. Jahrhundert und wies insbesondere auf die Entwicklung des politischen Katholizismus am Ende jenes Jahrhunderts hin. Das Mariazeller Manifest habe als wesentliche Erkenntnis aus dieser Entwicklung gefordert, dass es kein Zurück zum Patronat einer Partei über die Kirche geben dürfe.

Die 60er Jahre könnten, so Potz weiter, als erste Phase einer Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche als geglückt angesehen werden. Gleichzeitig sei infolge des damaligen Paradigmenwechsels eine Verlagerung zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Themata wie etwa der Fristenlösung erfolgt, in dessen Verlauf sich die Kirche als wesentlicher Faktor der Zivilgesellschaft etabliert habe.

Generell hielt der Redner fest, dass nur der religiös und weltanschaulich neutrale, säkulare Staat den Religionsgemeinschaften freie Entwicklung garantieren könne: Die Kirche müsse vor staatlichem Eingriff ebenso sicher sein wie der Staat vor religiöser Bevormundung.

Potz umriss sodann die Aufgaben der Kirche von heute. Sie müsse sich zu sozialen Problemen äußern und so jenes Ethos schaffen, auf welches der Staat angewiesen sei. Gerade in diesem Bereich habe die Kirche eine besondere Verantwortung, sei doch die ethische Komponente der Kirche auch auf europäischer Ebene nach wie vor gefragt. Im übrigen habe das Zweite Vatikanum bewiesen, wie richtungweisend das Mariazeller Manifest gewesen sei, hielt Potz fest.

Er plädierte aber auch dafür, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der pluralistischen Gesellschaft auch eine innere Kritikfähigkeit voraussetze. Es könne, so das Fazit des Referenten, keine freie Kirche geben, die nicht selbst innere Freiräume für eine kritische Auseinandersetzung schaffe.  

 
Weihbischof Krätzl: Kirche war von 50 Jahren freier als heute
Der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl eröffnete sein Referat mit der provokanten These, die Kirche sei vor 50 Jahren freier gewesen als heute. Sie habe sich damals aus den Parteien herausgehalten, habe, in Unabhängigkeit vom Staat, einen festen Stand in der Gesellschaft gehabt. Wichtige Politiker hätten sich zur Kirche bekannt, die Kirche habe vor allem bei der Jugend den Eindruck gemacht, wesentlich zum Wiederaufbau beizutragen. Den Hintergrund dafür hätte ein weitgehender Konsens über eine - christlich geprägte - Wertordnung und eine nach außen und im Inneren relativ geschlossene Gesellschaft gebildet.

Das Zerbrechen dieser Gesellschaft, das sich im Zusammenhang mit dem Jahr 1968 manifestiert habe, bedeutete auch für die Kirche, dass wichtige Positionen in Frage gestellt wurden, führte Krätzl weiter aus: die "Demontage" von Autoritäten, die Verächtlichmachung von Ehe und Familie, die Minimierung des Wertekonsenses. Mit dem 2. Vatikanischen Konzil aber habe die Kirche sich nicht mehr dominierend, sondern in dienender Position gesehen; sie müsse aber neue Formen finden, diese ihre Funktion in der neuen Situation wahr zu nehmen.

Der Wiener Weihbischof erläuterte dann seine These von der Kirche, die sich in neue Bindungen, ja Fesseln begeben habe, anhand von sechs Einzelbefunden: Fesselnd wirkten Berührungsängste mit der Moderne und der Postmoderne, gegenüber Politik, Kunst und Wissenschaft, die zu einem "Rückzug in sakrale Räume" führten; im Verhältnis zum Staat sei die Kirche "zu wenig souverän"; sie sei zu sehr besorgt um die eigene Identität, agiere zu wehleidig und weise Kritik zurück; unfrei sei die Kirche auch, weil sie nicht bereit sei, "Altlasten" aufzugeben, sie wirke moralisierend und dogmatisch, wodurch sie unfrei für eine offene Diskussion sei; unfrei sei die Kirche schließlich durch eine innere Polarisierung, und nicht frei sei sie für eine Konkurrenz mit anderen.

Im Blick auf den Staat und seine Freiheit fragte Krätzl dann, einen Gedanken von Böckenförde aufgreifend, nach der Möglichkeit einer innerweltlichen Begründung von Sittlichkeit. Jede an Freiheit orientierte Ordnung lebe davon, dass ein Mindestmaß an Homogenität vorhanden sei; dieses könne der Staat nicht anordnen, er sei aber darauf verwiesen. Die Kirche - und die Religionen überhaupt - könnten dafür einen "Resonanzboden" abgeben. Der Staat müsse so ein Interesse haben, die Wirkkraft der Religionen zu erhöhen, er dürfe die Religion nicht zur "Privatsache" degradieren. Der Staat müsse nicht nur Religionsfreiheit gewähren, er müsse den Religionen auch die Möglichkeiten einräumen, ihre Ideen zu verbreiten. Der Beitrag zu größerer Homogenität anderseits sei der Beitrag, den die Religionen zu leisten hätten. Dabei sei allerdings zu fragen, ob sie zu solcher Homogenität fähig und willens sind, fragte Krätzl kritisch. Auf die katholische Kirche bezogen, forderte er Pluralismus auch im Inneren und Zusammenarbeit mit den anderen Religionen.