EU-Regierungskonferenz im Zeichen der Schaffung einer neuen Verfassung  

erstellt am
07. 10. 03

Machtkampf zwischen kleinen und großen Mitgliedsstaaten
Rom (aiz.info) - Die Mitgliedsstaaten der Union sollen in den kommenden Monaten eine Verfassung für die EU verabschieden. Die Staats- und Regierungschefs haben am Wochenende in Rom dazu eine so genannte "Regierungskonferenz" eröffnet. Im Gegensatz zu früheren Regierungskonferenzen fing man diesmal nicht bei null an. Der EU-Konvent unter Leitung des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d’Estaing hat einen Entwurf für eine Verfassung ausgearbeitet, über den die Regierungen der Mitgliedsstaaten nun beraten müssen. Die großen EU-Mitgliedsländer, also Frankreich, Deutschland, Italien und das Vereinigte Königreich zeigen sich mit dem Verfassungsentwurf des Konvents einverstanden und warnten in Rom eindringlich vor einem Aufschnüren des Paketes und endlosen Debatten. Von kleineren Staaten - so auch Österreich - gibt es im Gegensatz dazu jedoch heftige Proteste und man beharrt auf einen eigenen Vertreter in der EU-Kommission. Wegen dieser Macht-Differenzen gibt es Zweifel, ob ein Abschluss der Regierungskonferenz bis Dezember 2003 erreicht werden kann.

Spanien und Polen als möglicher "Verhandlungs-Knackpunkt"
Spanien und Polen forderten ein größeres Stimmgewicht im EU-Ministerrat ein, welches sich nicht nach der Anzahl der Bewohner im Land richten sollte. Dieser Widerstand gegen ein Abrücken vom "Nizza-Vertrag" könnte der schwierigste Knackpunkt werden, zeigte sich ein Diplomat laut APA überzeugt. Polens Ministerpräsident Leszek Miller forderte, "das Thema so schnell wie möglich zu lösen", nicht ohne begründete Sorge will Italien doch das spanisch-polnische Problem - dem Vernehmen nach - als letztes behandeln. So könnten Madrid und Warschau isoliert und für ein drohendes Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gemacht werden. Dennoch scheint man seitens der zwei Länder keinen Zentimeter von den Forderungen abzurücken.

Kleine Staaten fürchten um Stimm- und Informationsrecht
Viele kleinere Mitgliedsstaaten wie Österreich beharren hingegen auf einen eigenen Vertreter in der EU-Kommission. Laut Verfassungsentwurf soll die Anzahl der Kommissare jedoch auf 15 Personen beschränkt werden, wenn die EU auf 25 Mitgliedsstaaten anwächst. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bekräftigte in Rom, es gehe ihm nicht um die Ressorts, die jeder der - nach seinen Wünschen - künftig eingesetzten 25 Kommissare haben sollte, sondern um das Stimm- und damit verbundene Informationsrecht der Mitgliedsländer in dem Brüsseler Gremium. Laut dem EU-Vertrag arbeitet die Kommission im europäischen und nicht im nationalen Interesse, doch fürchten die Regierungen vieler kleiner und mittlerer Länder, allen voran Österreich und Finnland, um die frühzeitige Einbindung in den EU-Gesetzgebungsprozess, sollten sie kein Stimmrecht in der Brüsseler Behörde haben.

Hänsch: Front der Kleinen wird mit der Zeit "abbröckeln"
Der frühere Präsident des Europaparlaments, Klaus Hänsch, ist überzeugt davon, dass die Front der "Kleinen" mit der Zeit abbröckeln wird. Zu viele Neulinge ohne Verhandlungserfahrung in der EU seien in dieser Gruppe, meinte er in Rom. Doch laut APA sei vorerst das Gegenteil der Fall. So hätte nun auch der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen "einen Kommissar mit Stimmrecht für alle" verlangt, nachdem Umfragen in seinem Land die Popularität dieser Forderung unterstrichen. "Es ist viel Symbolik damit verbunden, ein Stimmrecht zu haben", sagte er. Bisher gehörte Dänemark zu den Ländern, die den Verfassungsentwurf weitgehend unverändert akzeptierten. Weitere neun Länder unterstützen die österreichische Forderung zur EU-Kommission, verlautete es aus Delegationskreisen. Es sind dies Finnland, Portugal, Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Lettland, Litauen, die Slowakei und Polen. Als "schwankend" wurde allerdings die Position Sloweniens und Polens in diesem Punkt bezeichnet.

Europäisches Parlament darf bei Agrarteil des Verfassungsentwurfes mitbestimmen
Eher unwahrscheinlich sind Verhandlungen über den Agrarteil des Verfassungsentwurfes in der Regierungskonferenz. "Das würde unausweichlich die Büchse der Pandora öffnen und das Risiko eines Scheiterns der Regierungskonferenz mit sich bringen", warnte der französische Staatspräsident Jacques Chirac vor gravierenden Änderungen in Rom. Im Agrarteil hatte man sich darauf verständigt, dass das Europäische Parlament zukünftig mitbestimmen darf. Die Festsetzung von Preisen, Quoten und Zöllen und anderen budget-relevanten Fragen wurden vom Mitentscheidungsverfahren allerdings ausgeschlossen.

Schüssel: "Neuer konstruktiver Geist" bei der Debatte spürbar
Trotz aller Differenzen sprach Schüssel insgesamt von einem "neuen konstruktiven Geist" bei der Debatte der Staats- und Regierungschefs. Niemand habe Interesse, den Verfassungsentwurf als solchen in Frage zu stellen. Auch sei der italienische EU-Vorsitz bereit, über alle Fragen zu sprechen.

Zweifel bezüglich eines rechtzeitigen Abschlusses bis Dezember 2003

Jedoch kamen - vor allem wegen der Machtfrage zwischen großen und kleineren Mitgliedsstaaten - in Rom Zweifel auf, ob die Regierungskonferenz noch wie geplant bis Dezember 2003 abgeschlossen werden kann. Ein Beschluss zu Beginn 2004 unter irischer EU-Ratspräsidentschaft wäre auch kein Beinbruch, hieß es schon vorbeugend in Rom. Jedenfalls soll bis zum 13.06.2004 feststehen und der Wähler bei der Europawahl wissen, wie die zukünftige Verfassung der EU aussehen wird.

Große Demonstrationen von Gewerkschaftern und Ausschreitungen kleinerer Gruppen von Globalisierungskritikern begleiteten die Konferenz in Rom. Es gab insgesamt acht Verletzte und 50 Festnahmen.
     
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