Gemeinsame Erklärung für eine Europäische Union der Solidarität 
Europaweite Unterschriftenaktion an den EU-Konvent gestartet
Wien/Brüssel (ögb/egb) - GewerkschafterInnen und EU-Parlamentarier haben eine europaweite Unterschriftenaktion für mehr Soziales in die EU-Verfassung gestartet. Die Erklärung an den EU-Konvent im Wortlaut.

Gemeinsame Erklärung für eine Europäische Union der Solidarität.
Acht Monate nach der Einsetzung des Konvents sind wir beunruhigt über die Richtung, die die Diskussionen nehmen. Die Frage, auf welche Weise die neue Verfassung der Europäischen Union die Solidarität fördert, Grundrechte wie den Zugang zu Universaldiensten von allgemeinem Interesse, Bildung und Gesundheitsfürsorge gewährleisten und die ökologische wie auch die soziale Dimension mit der Wirtschaftspolitik gleichgestellt werden, wird sträflich vernachlässigt.

Wir fordern den Konvent - und jedes einzelne Mitglied des Konvents - auf, die Diskussionen erneut auf die Frage auszurichten, wie die Rechtsgrundlage für Zusammenarbeit und gemeinsame politische Strategien im Bereich der Sozial- und der Umweltpolitik auf europäischer Ebene gestärkt werden kann. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Stärkung dieser Dimensionen so kurz vor der Erweiterung eine Vorbedingung für die Erhaltung dessen ist, was zu Recht als europäisches Gesellschaftsmodell bezeichnet wird.

1. Ausbau und Stärkung des europäischen Gesellschaftsmodells
Das europäische soziale Modell ist ein Eckpfeiler des europäischen Gesellschaftsmodells. Es beruht auf Vollbeschäftigung mit qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen in einem gesunden und sicheren Arbeitsumfeld und Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Ziel dieses Modells ist es, ein Gleichgewicht zwischen einer dynamischen, ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung, Vollbeschäftigung, sozialem Schutz und sozialer Gerechtigkeit im weiteren Sinne zu schaffen. Im Rahmen einer neuen sozialen Marktwirtschaft soll die Flexibilität des Marktes mit öffentlichen und politischen Interventionen in Bereichen kombiniert werden, in denen der Markt nicht die gewünschten Ergebnisse erbringt. Aus diesem Grund sollte der Konvent im Text der Verfassung eine Stärkung der sozialen und ökologischen "Finalität" der europäischen Integration vorschlagen. Effiziente Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, ein starker Sozialwirtschaftssektor sowie die Einbeziehung von Gender Mainstreaming sind Schlüsselelemente des europäischen Gesellschaftsmodells, und die Union sollte Sicherheitsmechanismen für diese Elemente in der Verfassung festschreiben. Ungeachtet gemeinsamer Normen auf europäischer Ebene sollte es den Mitgliedstaaten freistehen, zu entscheiden, welche Dienstleistungen sie als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erachten - wobei diese Dienstleistungen vom Geltungsbereich der europäischen Wettbewerbsvorschriften ausgenommen sind.

2. Aufnahme der Charta der Grundrechte in die Europäische Verfassung
Die Aufnahme der Charta der Grundrechte in die Europäische Verfassung ist der Schlüssel zur Stärkung des europäischen Gesellschaftsmodells. Durch eine eigene Bestimmung sollte ein Verfahren zur weiteren Verbesserung dieser Charta vorgesehen werden. Außerdem benötigt die EU Rechtspersönlichkeit, damit sie die Europäische Menschenrechtskonvention und andere internationale Verträge wie etwa die vom Europarat verabschiedete Sozialcharta von Turin unterzeichnen kann.

3. Schaffung integrierter wirtschaftlicher und sozialer Entscheidungsstrukturen auf europäischer Ebene
In einem Binnenmarkt mit gemeinsamer Währung sind integrierte wirtschaftliche und soziale Entscheidungsstrukturen zwingend erforderlich. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, benötigen wir entsprechende Instrumente. Ein demokratisches, transparentes und effizientes Verfahren zur Entscheidungsfindung ist notwendig, um die soziale - jedoch auch die ökologische - Dimension in die neue Struktur, die die wirtschaftliche Entwicklung der Union leitet, einzubeziehen. Die entsprechenden Bestimmungen des Vertrags müssen ebenso wie die entsprechenden Räte - Rat Beschäftigung und Sozialfragen, Rat Umwelt und Rat Wirtschafts- und Finanzfragen (ECOFIN) - bei der Vorbereitung der Frühjahrsgipfel gleichwertig behandelt werden. Auf diesen Gipfeln sollte jedes Jahr - vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments - festgelegt werden, wie die "allgemeinen Richtlinien für eine nachhaltige Entwicklung" aussehen sollen. Da die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und die Mitentscheidung für das EP die Regel sind, sollten die Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Umweltpolitik eng aufeinander abgestimmt werden, damit die Gesamtziele der Union erreicht werden können. Durch den gesamtwirtschaftlichen Dialog könnte die Umsetzung der Richtlinien verbessert werden, indem die Währungspolitik, die Lohnpolitik (bei uneingeschränkter Wahrung der Tarifautonomie) und die anderen Elemente der Politik für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung miteinander koordiniert werden. Dies umfasst auch eine enge Abstimmung der Besteuerung - einschließlich der Festsetzung von Mindestsätzen für die Besteuerung von Unternehmen - und die Unterbindung des Wettbewerbs der Mitgliedstaaten untereinander auf Kosten der sozialen Sicherheit ihrer Bürger oder auf Kosten von Umweltbelangen. Der Wachstums- und Stabilitätspakt sollte neu ausgerichtet werden, indem eine Unterscheidung zwischen strukturellen und zyklischen Haushaltsdefiziten eingeführt wird. Ferner sollte eine Staatsverschuldung, die auf zukunftsorientierte öffentliche Investitionen (Bildung, Infrastruktur gemäß internationalen Umweltabkommen, neue Technologien) zurückgeht, im Rahmen des Verfahrens bei übermäßigem Defizit anders behandelt werden, wobei das Europäische Parlament bei der Beurteilung übermäßiger Defizite mehr Rechte erhalten sollte. Da die horizontalen Ziele der Union von allen mit der Union verknüpften Einrichtungen zu verfolgen sind, sollte das Ziel der nachhaltigen Entwicklung und die Vollbeschäftigung Teil der Ziele der Europäischen Zentralbank sein. Die Währungspolitik ist ein wichtiges Instrument der Wirtschaftspolitik, so dass die EZB gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit verstärkt rechenschaftspflichtig sein sollte, was beispielsweise die Veröffentlichung der Protokolle der Sitzungen ihres Direktoriums beinhalten würde.

4. Appell an den Konvent
Die UnterzeichnerInnen dieses Appells sind davon überzeugt, dass die aktuelle Haltung der Mitglieder des Konvents und vor allem seines Präsidiums nur durch gesellschaftlichen und politischen Druck von außerhalb des Konvents verändert werden kann. Ob die Bevölkerung Europas den Entwurf einer Verfassung für eine Union, der mehr als 25 Länder angehören werden, unterstützt, hängt nicht nur von der demokratischen Gestaltung ihrer Institutionen, sondern auch von den Zielen ab, die der Union gesetzt werden, sowie von ihrem Vermögen, sie umzusetzen.

Für uns gehen Demokratie, nachhaltige Entwicklung und Solidarität Hand in Hand.

Wir fordern hiermit jede Gruppierung, jeden gewählten Funktionär/jede gewählte Funktionärin und besorgte Privatpersonen auf, den Appell durch ihre Unterschrift zu unterstützen.