Ökumenischer Rat der Kirchen diskutiert Zukunft des ländlichen Raumes
Ergebnisse des Treffens fließen in Vorbereitung des "Sozialwortes" ein
Vorau/Wien (aiz) - Am vergangenen Freitag (08. 11.) haben einander im Chorherrenstift Vorau, Steiermark, erstmals Vertreter der 14 christlichen Kirchen in Österreich und Repräsentanten ländlicher Regionen getroffen, um gemeinsam über die Zukunft des ländlichen Raumes zu diskutieren. Das Ökosoziale Forum und der Ökumenische Rat der Kirchen hatten eingeladen, über die Ergebnisse des "Sozialberichtes" der christlichen Kirchen ins Gespräch zu kommen und damit einen Beitrag zur Vorbereitung des "Sozialwortes" der 14 christlichen Kirchen zu leisten, das im Herbst 2003 erscheinen soll.
Umbrüche im ländlichen Raum

Vizekanzler a. D. Josef Riegler, der Präsident des Ökosozialen Forums, unterstrich die "Erfolgsstory" des ländlichen Raumes seit 1950. Trotz verschiedener Nachteile und Hindernisse sei zahlreichen Regionen eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung gelungen, so Riegler. Zu den aktuellen Gefahrenpotenzialen und Herausforderungen zählte er eine Globalisierung, die ausschließlich "kapitalgetrieben" sei. Eine der Folgewirkungen einer globalisierten Wirtschaft ohne ausreichende ökonomische, soziale und ökologische Rahmenbedingungen sei ein problematisches Wegbrechen öffentlicher und "quasi-öffentlicher" Dienstleistungen insbesondere in dünner besiedelten und damit ohnehin meistens schon benachteiligten ländlichen Regionen.

Riegler sprach sich für eine österreichische Gesamtstrategie aus, ein wichtiger Ansatz dafür seien die EU-Programme für ländliche Entwicklung. Die Verantwortung der Kirchen liegt laut Riegler darin, als "Volkskirchen" das Leben der Menschen zu begleiten. Die Kirchen sollen seiner Meinung nach klar Position beziehen "im Sinne von Gerechtigkeit, Menschenwürde und den unverzichtbaren Werten menschlichen Zusammenlebens", sagte Riegler. Als gemeinsames Anliegen sieht er das Modell einer ökosozialen Marktwirtschaft.

Bischof Schwarz: Kirche als "letzter Nahversorger"
Bischof Alois Schwarz, in der Bischofskonferenz zuständig für den ländlichen Raum, betonte, dass in vielen Dörfern die Kirchen oftmals die "letzten Nahversorger" seien. Schulen, Kaufhäuser und andere Einrichtungen der Infrastruktur seien bereits massiv ausgedünnt. Bereits im Sozialhirtenbrief der Österreichischen Bischöfe (1990) sei auf die schwere Krise der Landwirtschaft hingewiesen worden. Angesichts der BSE-Krise und des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche haben die Mitglieder der europäischen Bischofskonferenz 2001 zur "Lage der Europäischen Landwirtschaft" Stellung bezogen. Sie kritisieren, dass die EU-Agrarmarktordnungen mit ihrer Ausrichtung auf Produktions- und Produktivitätssteigerungen, für Umweltschäden in Europa mitverantwortlich seien. Zugleich unterstützen sie eine grundlegende Umorientierung weg von einer reinen Landwirtschaftspolitik hin zu einer Politik des ländlichen Raumes.

Molterer: Herausforderungen an Kirchen und Gesellschaft
Bundesminister Wilhelm Molterer unterstrich, dass es für die Zukunft des ländlichen Raumes ein Leitbild brauche. Er stellte dafür das Modell des "bäuerlichen Familienunternehmens" ins Zentrum seiner Überlegungen. Die Schlüsselbegriffe dafür seien: Wertorientierung, Nachhaltigkeit und eine enge Verbundenheit mit der Natur. "Beim bäuerlichen Familienunternehmen steht die Familie im Vordergrund und nicht die industrielle Agrarproduktion", so Molterer. Das Konzept ruhe auf folgenden drei Säulen: Lebensmittelproduktion, Erhaltung und Gestaltung unserer Lebensräume sowie Dienstleistung im ländlichen Raum. Von zentraler Bedeutung seien dabei die vielfältigen Erwerbskombinationen. Weiters gehe es darum, "dass die Produktion von Lebensmitteln gesellschaftliche Anerkennung findet". Der ländliche Raum solle nicht nur Wirtschaftsraum sein, sondern auch Ressourcenreservoir (Wasser).

Die Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen und des Ökosozialen Forums zu diesem Dialog über die Zukunft des ländlichen Raumes wurde von Molterer ausdrücklich begrüßt: "Dialog ist keine Einbahnstraße, wir brauchen das kritische Gespräch." So wie die Wirtschaft einen politischen Rahmen benötige, bedürfe die Gesellschaft der Kirchen zur Entwicklung von tragfähigen Werthaltungen.

Das Neue am Projekt Sozialwort
Oberin Christine Gleixner, Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, erklärte, im Zusammenwirken von 14 christlichen Kirchen des Ostens und des Westens komme "die Vielfalt der konfessionellen, kulturellen und sozialen Wirklichkeiten" zum Ausdruck. Das Projekt Sozialwort sei als offener dialogischer Prozess angelegt, als dessen Frucht im Herbst 2003 ein Sozialwort präsentiert werde, "das von der alle Kirchen verbindenden biblischen Spiritualität getragen ist".

Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe gefordert
Wie Bischof Sturm hervorhob, wurden zentrale Fragestellungen die beim Dialogforum diskutiert wurden, auch im "Sozialbericht" schon angesprochen, wie etwa die Kritik am Einsatz der Gentechnologie zur Nahrungsmittelproduktion, die Zustimmung zu biologischer Landwirtschaft und artgerechter Tierhaltung, die Ausdünnung der ländlichen Infrastruktur und die ländliche Armut. Als Gegenstrategie wurde die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten gefordert. Der Globalisierung der Wirtschaft müsse eine "Globalisierung der Sozialgesetzgebung" an die Seite gestellt werden, forderte Schwarz. Ein schonender Umgang mit Ressourcen und die Stärkung lokaler Kreisläufe dürfe nicht losgelöst von der Frage nach gerechten Handelsbedingungen, weltweiten Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards gesehen werden.

Die europäische Dimension
Metropolit Staikos von der Griechisch-Orthodoxen Kirche, dessen Beitrag von Oberin Gleixner verlesen wurde, stellte das "Projekt Sozialwort" in den größeren Kontext der beiden Europäischen Ökumenischen Versammlungen in Basel (1989) und Graz (1997). Wenn nach den nötigen Unterstützungen zur Entwicklung des ländlichen Raumes gefragt werde, zeige sich, "dass diese Probleme keine geografischen und staatlichen Grenzen kennen". In Österreich müsse klar gesehen werden, dass es als Land im Zentrum Europas eine wichtige Brückenfunktion habe, so Staikos.