Stadt übergibt Schiele-Bild an Erben
Linz (mag) - Die Stadt Linz wird das Gemälde „Stadt am Fluss" beziehungsweise „Krumau", das sich derzeit noch im Besitz der Neuen Galerie befindet, an die Israelitische Kultusgemeinde Wien, übergeben. Diese wird das Bild an die Erben der ehemaligen jüdischen Eigentümerin, der es während der NS-Herrschaft entzogen worden ist, weiterleiten.

Auftrag zur Untersuchung der „Sammlung Gurlitt"
Bei der Eröffnung des Brucknerfestes im Jahr 1998 hat der Linzer Bürgermeister angekündigt, eine genaue Provenienzforschung über die Herkunft der „Sammlung Gurlitt" der Neuen Galerie der Stadt Linz einzuleiten. Mit den Untersuchungen wurde das Archiv der Stadt Linz beauftragt. Dieser Auftrag erfolgte zu einer Zeit, in der es mit Ausnahme des Bundes (Kunsthistorisches Museum) keinerlei diesbezügliche Aktivitäten in Österreich gegeben hat. 1999 wurde eine umfassende Studie, in der die Ergebnisse der in Linz, Wien, Berlin und Koblenz durchgeführten Recherchen zusammengefasst worden sind, der Öffentlichkeit präsentiert. Gleichzeitig erfolgte die Veröffentlichung der kompletten Studie auf den städtischen Webseiten im Internet.

Ergebnis der Recherchen
Die Situation stellt sich im Falle Linz anders dar als bei anderen Museen in Deutschland und Österreich. Diese waren vielfach während der NS-Zeit in den Besitz von geraubten Kunstobjekten aus ehemals jüdischem Eigentum gekommen. Die Neue Galerie der Stadt Linz jedoch ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Der Ankauf der Sammlung des ehemaligen Berliner Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt durch die Stadt erfolgte am 14.1.1953. Im Zuge der Forschungen konnten unter den seinerzeit angekauften Gemälden zwei Bilder (eines von Egon Schiele und eines von Lesser Ury) zweifelsfrei als während der NS-Zeit entzogenes jüdisches Eigentum identifiziert werden.

In der Folge wurden von zwei unabhängigen Fachleuten (Dr. Herbert Haupt/Kunsthistorisches Museum Wien und Univ.-Prof. Dr. Michael John/Universität Linz) Stellungnahmen zur Studie über die „Sammlung Gurlitt" eingeholt. Beide Gutachter äußerten sich sehr positiv zur Arbeit des Stadtarchivs und rieten zur Rückgabe der Gemälde.

Erste Bildübergabe
„Die Näherin" von Lesser Ury war das erste Gemälde aus dem Bestand der Neuen Galerie, das zurückgegeben worden ist. Um mögliche Erben auszuforschen, arbeitete das Archiv der Stadt Linz auch damals mit der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien zusammen. Nach genauer Prüfung aller Fakten hat der Stadtsenat im Juni 1999 einstimmig beschlossen, das Bild dem Enkel des ehemaligen Eigentümers, dem es während der NS-Zeit in Berlin entzogen worden war, zu übergeben.

Sachverhalt Schiele-Gemälde
Im Juni 1948 ließ die in Sao Paulo in Brasilien wohnhafte Daisy Hellmann, geb. Steiner, durch ihren Rechtsanwalt bei der Rückstellungskommission des Landesgerichtes Graz gegen Gurlitt den Antrag auf Rückstellung des Schiele-Bildes „Städtchen am Fluss" einbringen. Hellmann hatte bis zum März 1938 in Wien gelebt und war nach dem Anschluss geflüchtet. Dabei hatte sie unter anderem das Schiele-Gemälde zurücklassen müssen. Über die „Vugesta", eine der Gestapo unterstehenden Organisation, gelangte das Bild auf die im Jahre 1942 durchgeführte 471. Kunstauktion des Dorotheums in Wien.

Nach dem Wortlaut des Dritten Rückstellungsgesetzes vom 6.2.1947 war für eine Restitution entscheidend, ob Gurlitt gewusst hatte oder wissen hätte müssen, dass es sich um „arisiertes" jüdisches Eigentum gehandelt hatte. Als Gurlitt dies bestritt, fragte die Rückstellungskommission beim Dorotheum an, ob dieses seinerzeit angekündigt hätte, dass das zu versteigernde Bild unter entzogenes jüdisches Vermögen falle. Nachdem das Dorotheum dies verneint hatte, lehnte die Rückstellungskommission für die Steiermark, Außenstelle Leoben, am 10.1.1949 das Rückstellungsbegehren ab. Auch das erhobene Rechtsmittel der Geschädigten mit dem Argument, die Erwerber hätten damals generell Bescheid gewusst, dass hauptsächlich entzogenes Vermögen zur Versteigerung gekommen sei, wurde am 25.2.1949 von der Rückstellungsoberkommission beim Oberlandesgericht Graz abgewiesen.

Dieser Fall dokumentiert anschaulich die moralisch höchst bedenkliche österreichische Rückstellungspraxis der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Tatbestand an sich, nämlich die Wegnahme jüdischen Eigentums durch die Nationalsozialisten, stand außer Streit. Um ihr Bild zurückzubekommen, hätte die Geschädigte allerdings den Nachweis erbringen müssen, dass der Erwerber über den Entzug des Bildes Bescheid gewusst hat.

Die moralische Problematik liegt in den seinerzeitigen gesetzlichen Grundlagen bei Rückstellungen von entzogenem jüdischen Vermögen sowie der Rückstellungspraxis der Nachkriegszeit. Aus heutiger Sicht kann die damals vielfach geübte Praxis in Rückstellungsverfahren – so auch im Fall Schiele „Stadt am Fluss" – nicht als Wiedergutmachung, sondern vielmehr als nachträgliche Legalisierung des während der NS-Herrschaft erlittenen Unrechts bezeichnet werden.

Übergabe des Bildes an die Erben
Die Stadt Linz hat mehrere unabhängige Experten, die einschlägige Erfahrungen mit Rückstellungen von Kunstgegenständen haben um ihre Meinung zu dieser Causa gebeten. Es liegen Stellungnahmen von Univ.-Prof. Dr. Ernst Bacher (Leiter der Kommission für Provenienzforschung in Wien), Dr. Manfred Kremser (Vizepräsident der Finanzprokuratur in Wien) sowie Univ.-Prof. Dr. Michael John (vom Land Oberösterreich mit der Provenienzforschung beauftragt) vor. Alle drei Gutachter stellten fest, dass es einzig und allein im Ermessen der Stadt Linz liege, das Bild an Erben auszufolgen oder nicht. Es wurde allerdings betont, dass die Stadt Linz – gerade wegen der „außergewöhnlichen Anstrengungen, die sie in den letzten 15 Jahren bei der „Aufarbeitung des Nationalsozialismus unternommen hatte" – , eine „moralische Verantwortung" übernehmen sollte.

Auf Grund der vom Archiv der Stadt Linz und von externen Gutachtern durchgeführten umfangreichen Nachforschungen wurde klar, dass die Stadt Linz 1953 beim Erwerb des Bildes „Stadt am Fluss" beziehungsweise „Krumau" formaljuridisch korrekt gehandelt hatte. Zudem ergibt sich auch aus heutiger Sicht kein Hinweis, dass dieser Erwerb als moralisch bedenklich einzustufen wäre. Es konnten auch keinerlei Anhaltspunkte recherchiert werden, dass die Stadt Linz über das 1948/49 in der Steiermark laufende Rückstellungsverfahren Kenntnis erlangt hat.

Wenngleich die gesetzlichen Regelungen für eine Restitution nicht unmittelbar für die Gemeinden wirksam sind, wurde von der Stadt Linz stets erklärt, entsprechend den Intentionen des Bundes- und des Landesgesetzgebers vorgehen zu wollen.

Die Stadt Linz trifft nachweislich keine Schuld oder Mitschuld sowohl am Entzug in der NS-Zeit als auch der Verweigerung der Rückgabe des Bildes in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dennoch will sie aus moralischen Erwägungen mit der treuhändischen Übergabe des Gemäldes an die Israelitische Kultusgemeinde Wien zur unmittelbaren Ausfolgung an die Erben ein Zeichen der Wiedergutmachung gegenüber ehemaligen jüdischen Opfern setzen.

Aufarbeitung des Nationalsozialismus
Die Stadt Linz hat seit 1988 wie keine andere Gebietskörperschaft in Österreich zahlreiche Initiativen gesetzt, die Zeit des Nationalsozialismus kritisch offen zu legen. Dazu zählen das vom Gemeinderat einstimmig beschlossene und inzwischen abgeschlossene internationale Forschungsprojekt „Nationalsozialismus in Linz" sowie das über Initiative des Bürgermeisters und des Kulturreferenten gegenwärtig laufende Forschungsprojekt über Entnazifizierung. Die in den letzten Jahren erschienenen gedruckten Publikationen sowie die einschlägigen Internetpräsentationen unter www.linz.at trugen wesentlich zum positiven Image der Stadt Linz im In- und Ausland in Bezug auf die Aufarbeitung der Zeit der NS-Herrschaft bei. Die Stadt Linz wird auch in Zukunft versuchen, diesem Auftrag für die Kulturpolitik gerecht zu werden und verpflichtet sich, im Umgang mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere mit der NS-Zeit, wie schon bisher eine politisch und moralisch vorbildhafte Vorgangsweise zu pflegen.

Im Detail sind die folgenden Aktivitäten zu nennen:

1988
Gedenktafeln beziehungsweise Denkmäler im Landesgericht Linz, im Kolpinghaus (ehemaliges Gestapo-Gebäude), am Bernaschekplatz sowie an der Landwiedstraße für die Opfer des Nationalsozialismus.
Benennung der Jägerstätterstraße nach dem hingerichteten Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter (1907–1943).
Benennung einer Verkehrsfläche nach dem Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951), der in die USA emigriert war.

1990
Errichtung eines Gedenksteins beim ehemaligen „Arbeitserziehungslager" Schörgenhub. Benennung des Friedensplatzes und Errichtung des „Menschenrechtsbrunnens" mit dem Text der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen.

1994
Benennung der Bernardisstraße nach dem Widerstandskämpfer Robert Bernardis (1908–1944).

1995
Verleihung des Ehrenrings der Stadt Linz an Dipl.-Ing. Dr. Simon Wiesenthal (Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums gegen NS-Kriegsverbrechen).

1995
Errichtung des Denkmals „50 Jahre Zweite Republik" im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Wiedererstehung Österreichs.
Ausstellung „Prinzip Hoffnung" über Kriegsende und Nachkriegszeit im Stadtmuseum Nordico.

1996
Beschluss des Gemeinderates für das internationale Forschungsprojekt „Nationalsozialismus in Linz".
Herausgabe des Historischen Jahrbuchs über „Entnazifizierung und Wiederaufbau".

1997
Herausgabe des Bandes „Bilder des Nationalsozialismus in Linz".

1998
Benennung von Verkehrsflächen nach dem Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wilhelm Schwager (1893–1979) sowie dem Firmengründer Salomon Spitz (1828–1918) im Gedenken an den Selbstmord von Familienangehörigen im Jahr 1938.

1999
Präsentation der Studie über die „Sammlung Gurlitt".
Beschluss des Stadtsenates auf Übergabe des Bildes „Die Näherin" von Lesser Ury aus der Neuen Galerie an den Enkel des ehemaligen jüdischen Eigentümers.
Herausgabe der Biographie des NS-Oberbürgermeisters Franz Langoth.
Ausweitung der Gedenkstätte und Eröffnung einer Dauerausstellung an der Lunzerstraße über die Konzentrationslager Linz I/III durch die Arbeitnehmervertretungen der VOEST-Alpine-Gruppe.

2000
Herausgabe des Werkes „Bevölkerung in der Stadt".

2001
Präsentation der 1750-seitigen Publikation „Nationalsozialismus in Linz".

2002
Internationales Symposion und Forschungsprojekt über Entnazifizierung (gemeinsam mit dem Land Vorarlberg).
 
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