EU-Verfassung: Verhandlungen stehen auf der Kippe  

erstellt am
02. 12. 03

Ferrero-Waldner trotzdem erfreut über Erfolg im Kommissionsstreit
Neapel/Wien (aiz.info) - Trotz einer weitgehenden Einigung der EU-Staaten in der Verteidigungspolitik stehen die Verhandlungen über die geplante europäische Verfassung auf der Kippe. Zwei Wochen vor dem entscheidenden EU-Gipfel konnten sich die Außenminister der bald 25 Mitgliedsstaaten am Wochenende in Neapel in den entscheidenden Punkten nicht annähern. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer warnte vor einem Scheitern der Verfassung. "Ich reise von Neapel besorgter weg, als ich es vorher war. Gravierende institutionelle Fragen dürfen nicht wieder ungelöst bleiben", so Fischer. Eine Vertagung dieser Kernfragen wäre faktisch ein Eingeständnis des Scheiterns. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner zeigte sich laut APA hingegen sehr erfreut darüber, dass nun doch alle Mitgliedsstaaten einen stimmberechtigten EU-Kommissär behalten sollen.
Stimmgewichtung im Ministerrat als größter Knackpunkt

Zwar gab es in 40 von rund 50 offenen Detailfragen Konsenslösungen, größter Knackpunkt ist aber weiter die Stimmengewichtung im Ministerrat. Spanien und Polen wollen am komplizierten Modus im Vertrag von Nizza festhalten, der sie überproportional bevorzugt. Mit je knapp 40 Mio. Einwohnern haben die beiden Staaten je 27 Stimmen, das mehr als doppelt so große Deutschland nur 29 Stimmen. Die meisten Länder lehnten Überlegungen des britischen Außenministers Jack Straw ab, die Entscheidung darüber zu verschieben, hieß es in Delegationskreisen. Österreich würde nach den Worten Ferrero-Waldners sowohl die Nizza-Regelung als auch die doppelte Mehrheit akzeptieren.

Prinzip der doppelten Mehrheit

Das EU-Abstimmungs-System der doppelten Mehrheit wird von Deutschland ebenso wie von Frankreich unterstützt, heißt es in der heutigen Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Spanien wehrt sich wiederum gegen die Einführung. Das Prinzip der doppelten Mehrheit legt fest, dass bei den Abstimmungen im Ministerrat oder auf Gipfeltreffen nicht nur jedes Land mit einer Stimme gezählt, sondern auch die Einwohnerzahl berücksichtigt wird. So müsste zur Annahme eines Beschlusses - sofern er nach dem Mehrheitsprinzip zu fassen ist - nicht nur die Mehrzahl der Länder zustimmen, sondern auch noch mindestens 60% der Bevölkerung dahinter vereint sein. Deutschland bemüht sich bereits seit langem um eine stärkere Berücksichtigung seiner großen Bevölkerungszahl, Spanien fürchtet hingegen, dadurch an Einfluss zu verlieren. Diese Sorge hat auch Polen als neues Mitglied.

Ein Kommissar pro Land scheint möglich
Im Streit um die künftige Größe der EU-Kommission zeichnete sich eine Lösung im Sinne der kleineren Mitgliedsstaaten ab. "Für die Überlegung 'ein Kommissar pro Land' ist die Tür geöffnet", sagte der EU-Ratsvorsitzende Franco Frattini. Ferrero-Waldner deutete das Einlenken der Ratspräsidentschaft in dieser Frage als Beweis dafür, dass Österreich in der EU "doch viel zu Stande bringe". Vor allem vor dem Hintergrund des Transitstreits sei es wichtig, dass Österreich einen stimmberechtigten EU-Kommissär behalte und jemand "österreichisches Gedankengut" in die Brüsseler Behörde einbringe.
 
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