1938 - »Anschluß Österreichs« – Vorgeschichte, Ereignis und Folgen   

erstellt am
14. 03. 08

Kurzfassung des Vortrags von Univ.-Prof. Gottfried-Karl Kindermann von der Ludwig- Maximilians-Universität München vor der Österreichisch-Bayerischen Gesellschaft in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München am 11. März. 2008.
     
Ein kardinaler Fehler vormaliger und heutiger Diskussionen um den sog. „Anschluß“ Österreichs an das Dritte Reich sind in dem Mangel an historischer Perspektive und Tatsachenbeherrschung zu finden. So kann der „Anschluß“ als historisches Ereignis nicht ohne die gravierenden Nachwirkungen des Vertrages von St. Germain und noch weniger ohne die Berücksichtung der Tatsache verstanden werden, daß der „Anschluß“ der tragische
 

Univ.-Prof. Gottfried-Karl Kindermann von der Ludwig- Maximilians-Universität München bei seinem Vortrag
Foto: Ada-Jasmin Kindermann
Schlußpunkt eines fünfjährigen Machtkampfes um Österreich gewesen ist.

Die Österreicher, vormals Kernvolk eines multinationalen und multikulturellen Großreiches, wurden ungewollt nach 1918 Bürger eines rein deutschsprachigen Kleinstaates an den Südgrenzen Deutschlands. Damit hatten die Österreicher ihren historischen Daseinssinn und das Zentrum ihrer politischen Identität verloren. Ebenso verlor der neue Kleinstaat so viel von seinen vormaligen Absatzmärkten und Rohstoffquellen, dass seine Bürger ihn wirtschaftlich nicht für lebensfähig hielten. Der weltberühmte Rechtsgelehrte Hans Kelsen, zugleich auch Hauptautor der österreichischen Verfassung, sagte, das neue Österreich sei „nichts außer einem Fetzen Landes, übriggeblieben, nachdem die Sieger ihre territorialen Bedürfnisse befriedigt hätten.“ Dank der Friedensdiktate gerieten 50 Prozent, also die Hälfte aller deutschsprachigen Bürger der vormaligen Donaumonarchie unter ungewollte Fremdherrschaft.

Als Folge dieses Absturzes geschah das in der europäischen Geschichte Präzedenzlose. Ein neuer Staat – die Republik Österreich – wird konstituiert, begeht aber im Akt der Gründung Selbstmord durch ein Staatsgrundgesetz, das Deutsch-Österreich zu einem Teil der Deutschen (Weimarer) Republik erklärt. Dementsprechend vereinbaren die Außenminister Österreichs und Deutschlands 1919 ein Vertragsprotokoll über den „Eintritt Deutsch-Österreichs in das Deutsche Reich“ wobei Wien sogar „zweite Hauptstadt des Reichs“ werden sollte. Die Friedensdiktate von St. Germain und Versailles verbieten jedoch jeden Zusammenschluss der beiden Länder.

Ungeachtet dieser Sachlage, halten zwei österreichische Parteien – die Großdeutsche Partei Österreichs und die austro-marxistische Sozialdemokratische Partei – am Ziel des Anschlusses fest. Sie und viele Österreicher erstreben den Anschluß an das befreundete Deutschland der Weimarer Republik. Doch eine historische Wende ergibt sich aus Hitlers Machtergreifung 1933. Im Mai des gleichen Jahres gründet Österreichs jüngster Bundeskanzler Engelbert Dollfuß mit der Vaterländischen Front die erste Bewegung, die sich militant für die Eigenstaatlichkeit und eigene Identität Österreichs einsetzt. Sieben Tage nach dieser Gründung aktiviert Hitler den sog. „Generalangriff auf Österreich“. Die Regierung Dollfuß, so sagt er, wolle den großdeutschen Gedanken aus Österreich vertreiben und an seine Stelle die österreichische Idee setzen.

Der NS-Generalangriff erfolgt auf zwei Ebenen. Auf der Regierungsebene erläßt Hitler einen deutschen Tourismus-Boykott und verfügt Abdrosselungen österreichischer Exporte nach Deutschland. Auf innenpolitischer Ebene entfesselt Hitlers Partei ein Jahr lang einen landesweiten Terrorkrieg mit monatlich bis zu 140 Sprengstoffanschlägen, Mordanschlägen auf führende Persönlichkeiten und eine grenzüberschreitende Propagandawelle.

Doch die Dollfußregierung schlägt zurück. Schon im Juni 1933 verbietet sie als erste Regierung Europas die NSDAP. Das Sicherheitswesen wird zentralisiert, das Heer verstärkt und die Hochwertung des Österreichertums propagiert. Als erster Regierungschef Europas erklärt Dollfuß wörtlich, der Nationalsozialismus sei ein kriminelles System auf der Basis einer kriminellen Ideologie. Österreich wird zwischen 1933 und 1938 zu Europas wichtigster Stimme deutschsprachiger Kritik am Nationalsozialismus. Wien warnt das Ausland, der Kampf um Österreich sei ein Kampf um die Erhaltung oder Zerstörung der europäischen Friedensordnung.
   

1933 entsteht eine Demokratiekrise als in dem durch ein Stimmenverhältnis von 81 zu 81 fast paralysierten Parlament der erste Präsident, ein Sozialist, plötzlich sein Präsidialamt niederlegt um dadurch für seine Partei eine Mehrheit von einer Stimme zu gewinnen. Dadurch unter Zugzwang gesetzt, treten auch der zweite und dritte Präsident des Nationalrates zurück. Damit ist das Parlament führungslos, gelähmt und blamiert. Europa lacht über diesen Schildbürgerstreich, der im Inland zu weitgehender Verachtung des Parlamentarismus führt.

Hitlers Partei aber fordert dringend Neuwahlen. Angesichts dieser Demokratiekrise und der gleichzeitig von innen und außen angreifenden NS-Offensive, beschließt Dollfuß durch die Errichtung eines „Christlichen Ständestaates“ autoritär zu regieren. Das verhindert Hitlers Plan in Österreich mit der in Deutschland erfolgreich erprobten Taktik des formal legalen Manövers die Macht zu ergreifen. Im Februar 1934 gefährdet ein Aufstand der als illegal erklärten austro-marxistischen Parteiarmee der Sozialdemokraten Österreichs den damals besonders heftigen Abwehrkampf gegen die Nationalsozialisten. Doch weder die Gewerkschaften, noch die Bevölkerung schließt sich dem Aufstand an. Dennoch kostet er insgesamt an die 320 Tote. Tragischerweise beendet er monatelange Versuche einer Einigung zwischen den Großparteien.

Durch Österreichs Abwehr in die Enge gedrängt, sucht die NDAP den Sprung nach vorn durch einen bewaffneten Aufstand der SS und SA in Wien und mehreren Bundesländern. Ziel ist die blitzartige Machtergreifung in Österreich durch die Gefangennahme der gesamten Bundesregierung, der Beherrschung des Rundfunksystems, durch die Erpressung des Bundespräsidenten, durch die Eroberung von Landeshauptstädten und durch die Verbreitung der Falschmeldung, die alte Regierung sei zurückgetreten, der neuen Hitler-hörigen Regierung sei zu gehorchen. Doch das Bundesheer – auf das die Putschisten irrig gehofft hatten – blieb der rot-weiß-roten Fahne treu und hat, unterstützt von freiwilligen Kämpfern des Heimatschutzes, den Aufstand in wenigen Tagen niedergeworfen. Auch bewährt sich ein quasi-Bündnis Österreichs mit Italien, da dieses als einzige Großmacht unterstützende militärische Drohmaßnahmen gegen Hitler ergriff.

Zwar wurde während des Aufstandes Bundeskanzler Dollfuß grausam ermordet, doch Hitlers Führung mußte sich eingestehen der Aufstand war „eine glatte Niederlage für Reich und Partei“. Es war jedoch Hitlers einzige außenpolitische Niederlage im Jahrzehnt von 1933 bis 1943. Im Tod noch hatte Dollfuß – Hitlers erster Gegner unter den Regierungschefs Europas – gesiegt. Hitler befiehlt zunächst den Abbruch der NS-Generaloffensive gegen Österreich. Die aus Wien damals versandten Lageberichte der Gesandtschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs bezeichnen Dollfuß als zentrale Figur des österreichischen Staatswiderstandes.

Ab 1936 verschlechtert sich die internationale Lage für Österreich. Wegen seines Raubkrieges gegen Abessinien (Äthiopien) gerät Italien in Konflikt mit den Westmächten und wird dadurch von Hitler anhängig. Die sog. „Achse Rom-Berlin“ umklammert Österreich von Nord und Süd. Hitler gelingt es die Berliner Olympiade zur wirkungsvollen Verharmlosung des Dritten Reiches zu benützen und internationales Lob für das neue Deutschland einzuheimsen. Österreich wird von Italien gedrängt mit Deutschland das sog. „Juli-Abkommen“ von 1936 zu unterzeichnen, das zwar einerseits die Souveränität Österreichs anerkennt, jedoch andererseits Tore zur Penetration Österreichs öffnet.

Im November 1937 vollziehen sich zwei Ereignisse, die drohende Schatten auf Österreich werfen. Laut dem sog. „Hoßbach Protokoll“ erklärt Hitler vor Generälen seinen geheimen Plan, Österreich und die Tschechoslowakei blitzschnell niederzuwerfen um einen mitteleuropäischen Machtkern als Ausgangsbasis großer Raumeroberungen im Osten zu bilden. Wenige Tage später spricht der britische Lordsiegelbewahrer und spätere Außenminister Lord Halifax mit Hitler, drückt ihm Englands Bewunderung für seine Politik in Deutschland aus und fügt hinzu, England verstehe die Notwendigkeit von Änderungen des Status quo, vor allem in den Fällen Österreich, Danzig und der CSR. Welche Ermutigung für Hitler!

Bis 1938 war die Anhängerschaft der immer noch illegalen österreichischen Nationalsozialisten ebenso gestiegen wie auch die Radikalität ihrer Aktionen. Mit der Hoffnung sie in Schach halten zu können, willigt Schuschnigg in den Vorschlag eines Treffens mit Hitler ein, das am 12. Februar in Berchtesgaden stattfindet. Dabei beschimpft Hitler Österreich und Schuschnigg in gröbster Weise, droht Österreich mit Krieg, Bürgerkrieg und Rache, bezeichnet sich als „den größten Deutschen“ und sagt, die Wehrmacht sei eine zu vorzügliche Streitmacht um sie nicht zu gebrauchen.
   



In einem von Hitler diktierten Abkommen muß Schuschnigg den Nationalsozialisten gefährliche Zugeständnisse machen, tut es aber in der Hoffnung, Zeit zu gewinnen.

Als Hitler in einer Rede die Absicht andeutet, die „Deutschen“ in Österreich und der CSR heim ins Reich zu holen, hält Schuschnigg vor dem Bundesrat eine leidenschaftliche Rede in der es heißt, Österreich müsse ein unabhängiges Österreich bleiben. Er schließt die Rede mit dem Ruf „rot-wie-rot bis in den Tod“ und erntet tosenden Beifall bei den Zuhörern wie auch in der Öffentlichkeit.

Als ein Vertreter Hitlers aber weitere Zugeständnisse fordert, faßt Schuschnigg den Plan zu einer Volksbefragung über Österreichs Unabhängigkeit. Vergeblich warnt ihn Mussolini mit dem Argument, gehe die Befragung für Österreich gut aus, werde Hitler sie nicht anerkennen, gehe sie schlecht aus, sei sie schädlich, gehe sie kanpp aus, sei sie wertlos. Dennoch kündigt Schuschnigg die Volksbefragung für den 13. März in einer großen Rede in Innsbruck an, die er mit Andreas Hofers Kampfruf gegen Napoleon: „Mander s‘ischt Zeit“ beendet. Monarchisten, Kommunisten und Teile der unterdrückten Sozialisten sagen ihre Unterstützung zu, doch die Nationalsozialisten reagieren ebenfalls mit großen Demonstrationen.

In Wut und Sorge wegen Schuschniggs Plan befiehlt Hitler der Wehrmacht das „Unternehmen Otto“, d.h. den Einmarsch in Österreich vorzubereiten. Ultimaten aus Berlin fordern zuerst die Verschiebung, doch dann die Absage der Volksbefragung und den Rücktritt Schuschniggs. Zwar wird die Volksbefragung abgesagt, doch die Wehrmacht überschreitet dennoch am 12. März die Grenze. Obwohl sich das Bundesheer einsatzbereit erklärt, verkündet Schuschnigg, gleichzeitig mit seinem Rücktritt, die Weisung der Regierung, keinen militärischen Widerstand zu leisten.

Hitler wird in Linz und Wien von Massen von Nationalsozialisten, von Großdeutschen und von Opportunisten stürmisch bejubelt und erklärt am 15. März 2005 den Anschluß Österreichs an das Dritte Reich. Damit endet der 1933 beginnende Machtkampf um Österreich bei dem Österreich 1934 die erste Runde gewonnen und dann 1938 die zweite Runde verloren hatte. Trotz Druckes aus Berlin und Rom hatte sich Österreich geweigert aus dem Völlkerbund auszutreten und in den Anti-Komintern Pakt Berlin-Rom-Tokio einzutreten. Österreichs Juden blieben bis 1938 vollauf geschützt und gesellschaftlich vielfach prominent. Ihr Unglück begann erst, als der österreichische Staat weder sich selbst noch sie zu retten vermochte.

Mit der Wehrmacht kamen die Totenkopf-Verbände der SS und über das Land rollte eine Welle von Verhaftungen, denen ein bedeutender Teil der vaterländischen und der sozialistischen Elite zum Opfer fiel. Während der Anschluß-Ära wurden 2700 ÖsterreicherInnen aus politischen Gründen hingerichtet, 32.000 sind in KZs oder in Gestapo-Haft gestorben.

In Konzentrationslager oder Gefängnisse kamen sechs Bundeskanzler der Republik Österreich: Schuschnigg, Vaugoin, Ender, Gorbach, Figl und Kreisky. Zwei vormalige KZler – Figl und Gorbach – wurden Bundeskanzler der Nachkriegszeit, ebenso Kreisky, der Gefängnishaft erlitten hatte.

1943 erklärte eine Konferenz alliierter Außenminister in Moskau, der Anschluß sei null und nichtig, Österreich sei das erste Opfer der Hitlerischen Aggressionspolitik gewesen und werde nach dem Krieg als Staat wieder hergestellt. Doch wird hinzugefügt, Österreich trage „für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitlers eine Verantwortung“. So formuliert ist das absurd. Denn nach dem Anschluß wurde Österreich als Verwaltungs-und Willenseinheit aufgelöst, seine einzelnen „Gaue“ wurden separat von Berlin aus verwaltet, sogar der bloße Name „Österreich“ und dessen Fahne und Wappen rot-weiß-rot, seit den Kreuzzügen Symbole österreichischer Staatlichkeit, wurden verboten. Ein „österreichisches Vichy“ hat es nie gegeben. Die Autoren der Moskauer Erklärung vergaßen Englands Ermutigung Hitlers gegen Österreich ebenso, wie den Raubpakt Stalins mit Hitler, der überhaupt erst endete, als Hitler überraschend die Sowjetunion angriff.

Richtig und beschämend aber ist, daß viele Österreicher zu individuellen Mittätern nationalsozialistischer Verbrechen wurden. Sie alle tragen eine individuelle Verantwortung.

Doch sie können (und wollten) nie pauschal mit „Österreich“ gleichgesetzt werden. Nach dem Krieg verhängte Österreichs Justiz wegen krimineller nationalsozialistischer Betätigung 42 Todesstrafen und 13.667 Verurteilungen, darunter 5600 schwere Kerkerstrafen. Ein Viertel aller Beamten wurde – oft nur auf Grund passiver Mitgliedschaft in NS-Organisationen – entlassen, was auch ihre Familien traf, sofern der Beamte der Alleinverdiener der Familie gewesen war.

Hinsichtlich des Anschlußjubels ist daran zu erinnern, daß die urspünglich demokratische großdeutsche Idee bis zum Revolutionsjahr 1848/49 zurückreicht, und daß eine Billigung des Anschlusses – der in der Ersten Republik von zwei Parteilagern gefordert wurde – keineswegs zugleich die Billigung anderer Programmpunkte der NSDAP bedeutet. Für sehr viele andere Österreicher sprechend, hatte der sozialdemokratische Staatsmann Karl Renner erklärt, der Anschluß sei zwar mit anderen Methoden als jenen, zu denen er sich bekenne, herbeigeführt worden, dennoch begrüße er ihn „freudigen Herzens“, weil er sich Jahhrzehnte hindurch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eingesetzt habe. Genau so dachten viele andere Österreicher die beim Anschluß gejubelt hatte, obwohl sie keine Nationalsozialisten waren.

Psychologisch fiel ins Gewicht, daß die Bundesregierierung in der Stunde der Krise Unsicherheit und Entscheidungsschwäche gezeigt hatte und sich zuvor zu den entwürdigenden Bedingungen von Berchtesgaden hatte erpressen lassen. Vom Anschluß erwarteten viele Österreicher ein Ende der Arbeitslosigkeit, bessere Berufschancen und Geborgenheit in einem machtvollen Reich. Die Durchschnittsösterreicher waren beeindruckt von der international gepriesenen Berliner Olympiade, von plakativen und innovativen Aspekten der NS-Sozialpolitik und von der friedlichen Beseitigung mancher durch Versailles verursachter Souveränitätsbeschränkungen.

Zudem verstand es die massive NS Propaganda, den Anschluß als unwiderstehliche Woge der Geschichtsentwicklung darzustellen, der man sich nicht entziehen könne.

Dem vaterländischen Lager ist später oft der Vorwurf gemacht worden, die „Deutschheit“ Österreichs zu stark und zum eigenen Schaden betont zu haben. Doch alle politischen Parteien betonten nach dem Untergang des Vielvölkerreiches den „deutschen“ Charakter des neuen, nur deutschsprachigen Kleinstaates. Und doch besteht ein großer Unterschied: Während die Großdeutsche Partei eine großdeutsche Lösung selbst mit Hitler anstrebte, wollten die Sozialdemokraten ebenfalls einen Anschluß, doch erst wieder nach Hitler, dessen Regime sie schroff ablehnten. Während das vaterländische Lager auch den deutschen Charakter Österreichs betonte, verstand es das „Österreichertum“ als eine stärker europäisierte Variante des Deutschtums. Trotz und teilweise wegen dieser Auffassung lehnte das vaterländische Lager jeden Anschluß an Deutschland ab und kämpfte für die Erhaltung des österreichischen Staates und seiner im Österreichertum verwurzelten Identität.

Das vaterländische Lager erkannte klar, daß der Nationalsozialismus, dessen Organisationsformen, Kampf- und Propagandataktiken sowohl von den italienischen Faschisten, als auch von den russischen Bolschewisten beeinflußt waren, eine atypische Entartung deutscher Wesenheit bedeutete. Wie eine führende Zeitschrift der Vaterländischen es ausdrückte, verkörperte der Nationalsozialismus „eine Sturmflut gegen deutsches Wesen und deutsche Kultur, ein Abfall von deutscher Art, wie ihn die Geschichte bisher nie gesehen“. Daher sei es „die große Mission Österreichs … der Hort wahren Deutschtums zu sein, … das in Deutschland heute verbannt und verleugnet wird“. Den Vaterländischen unterlief nie der bei heutigen Germanophoben zu findende Irrtum einer Gleichsetzung von Deutschtum und Nationalsozialismus.

Als sich Führer und Aktivisten der großen, einander zuvor so feindlichen politischen Lager in Konzentrationslagern begegneten, beschlossen sie im Falle des Überlebens nach dem Krieg gemeinsam ein neues, besseres Österreich aufzubauen. Und in der Tat, Loyalität gegenüber Österreich als Staat – vor 1938 das Tribut nur einer Partei –, ist seither zum Allgemeingut aller Parteien geworden. Das Österreichbewußtsein ist parteienübergreifende Realität geworden. So hat das neue Österreich der Zweiten Republik mehr denn je zuvor zu sich selbst zurückgefunden. Wie die Wiener Symbolfigur des „Lieben Augustin“, schien Österreich nach dem Anschluß tot zu sein und ist dennoch zu neuem Leben aufgestiegen und hat sich bewährt.
     
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Diesen Artikel finden Sie auch im "Österreich Journal" pdf-Magazin, Ausgabe 058
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