Eine Stadt geht voran  

erstellt am
15. 09. 06

Die Universitäts- und Technologiestadt Leoben im obersteirischen Murtal hat viele andere Städte auf dem Weg ins dritte Jahrtausend bereits weit überholt. Aber die Stadtväter haben nicht darauf vergessen, Kultur und Lebensqualität zu wahren.
Von Christa und Michael Mössmer.

     
Leoben, die zweitgrößte Stadt der Steiermark, ist „Das Tor zur Steirischen Eisenstraße“ im oberen Murtal. Eine Schleife der Mur, sie entspringt in den Hohen Tauern im Salzburger Lungau und ist Hauptfluß der „Grünen Mark“, umfaßt den Kern der Altstadt auf drei Seiten. Über die Jahrhunderte ist die Stadt weit über diese damals natürliche Grenze hinausgewachsen, erstreckt sich heute im Norden bis auf die Ausläufer des Hochschwab, im Süden auf die Abhänge der Gleinalpe und im Westen die der Eisenerzer Alpen.

Ein Blick auf Leoben vom »Massenberg«, auf dem Reste der mittelalterlichen Massenburg, einer ursprünglich landesfürstlichen Wehranlage, zu sehen sind
Hier handelte Napoleon mit österreichischen Diplomaten den »Vorfrieden von Leoben« aus: das »Egger‘sche Landhaus«
Blick auf die Stahlhütte Leoben der Voest Alpine Donawitz
Apropos Eisenenz: Das Eisen prägte die Geschichte und das wirtschaftliche und kulturelle Aussehen und Wirken Leobens bereits im Mittelalter, war die Stadt doch ab 1314 ein bedeutender Eisenumschlagplatz. „Schwarze Grafen“ wurden sie genannt, die Händler, die ihr begehrtes Gut weit über die Grenzen ihrer Heimat hinauslieferten.

Der frühere Name Leobens, „Liupina“, findet sich erstmals in einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 904 von König Ludwig (dem Kind), die dem Gaugrafen Aribo II., Graf zu Göss-Schladnitz, die Besitzrechte an Ackerland auf beiden Seiten der Mur übertrug. Aribo II. und seine Gattin Adala gründeten dort das Nonnenstift Göss, das seither wesentlich zur kulturellen Entwicklung der Region beitrug. Doch davon später.

1173 taucht dann eine Siedlung namens „Forum Liuben“ als Vorläufer der heutigen Stadt auf, die aber, rund um die heutige Jakobskirche, ihren endgültigen Standort noch nicht gefunden hatte. 1261 wird unter König Ottokar II., Markgraf von Mähren und Herzog von Österreich, die Stadt in die „Murschleife“ verlegt und mit dem Stadtrecht ausgestattet. Herzog Friedrich I. (der Schöne) und sein Bruder Leopold I. verleihen, als Lehensherren der Herzogtümer Österreich und Steiermark, der Stadt das „Verlagsrecht für Eisen“, was bedeutet, daß alles Eisen aus der Umgebung dort abgeliefert werden mußte.

Bewegte Geschichte
Leoben bleiben Kriege und Wirren der Zeit nicht erspart, 1480 wird beim Türkensturm die „Waasenvorstadt“ ein Opfer der Flammen, in den Wirren von Reformation und Gegenreformation ist Leoben 1525 wichtiger Stützpunkt zur Niederschlagung des Knappenaufstandes im Ennstal und rund um Schladming.
1797 handelt Napoleon im „Egger‘schen Landhaus“ mit österreichischen Diplomaten den „Vorfrieden von Leoben“ aus, der wesentliche territoriale Veränderungen in Europa zur Folge hatte.
   

Bewegte Wirtschaft
Die Beseitigung der alten Eisenprivilegien durch Kaiser Joseph II. hatte eine längere wirtschaftliche Stagnation des Raumes Leoben zur Folge, die erst im 19. Jahrhundert durch die


Am Hauptplatz befindet sich das wunderschöne »Hacklhaus« aus dem 16. Jahrhundert mit reich verzierter Stuck-Fassade
industrielle Revolution ein Ende fand. Der Anschluß an das Eisenbahnnetz 1868 brachte dann die letzten Voraussetzungen zur Schaffung der Donawitzer Industriezone, in der 1881 durch Zusammenlegung verschiedener Eisen- und Stahlwerke, sowie durch die Miteinbeziehung der Leoben-Seegrabener Kohlenbergwerke die Österreichische Alpine Montan-Gesellschaft entstand. Die wissenschaftlich-montanistischen Grundlagen für diese Schwerindustrie, die die heutige gesamtösterreichische Wirtschaft wesentlich mitbestimmt, wurden schon im 19. Jahrhundert durch die Gründung der Leobener Bergakademie, der heutigen Montanuniversität, mitgeschaffen

Auch in der folgenden ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten sich zahlreiche Betriebe in Leoben etablieren, während die zweite Hälfte anfangs nur wenig Positives für Stadt und Region zu bieten hatte. Die internationale Stahlkrise und die eine oder andere wirtschaftliche Fehlentscheidung in fernen Zentralen stellten die verantwortlichen Politiker und die Menschen in Leoben auf eine harte Prüfung. Mit großer Anstrengung ist es schon Mitte der 90er Jahre gelungen, Leoben wieder ins Zentrum eines Wirtschaftsbooms zu rücken, der sich durch die Ansiedelungen vielfältiger Industriezweige verdeutlicht auszeichnet. Diese innovativen Unternehmen sind Garanten für Wachstum und Fortschritt, die – eng verbunden mit den historisch gewachsenen Institutionen – die Grundlage zur Festigung der Zukunft bilden. Eines kommt ohne das andere nicht aus.
   

Die Stadt der Kräne
Die Symbiose ist gelungen, und die Patina der alten Schönheit dieser Stadt verwandelt sich zu lebendigen, pulsierenden Highlights, wo sich „alt“ und „modern“ dem Beschauer in Harmonie darbieten. Unsere Spaziergänge durch diese Stadt waren erfüllt davon. Wie Wechselstrom fließt die neue Zeit in die Vergangenheit und wieder zurück.


Von Dennis Oppenheim, Ikone der US-amerikanischen Kunst, stammt »Double Wedding« vor dem »Neuen Rathaus«
Ob man das Museum in seiner neuen modernen Ausgestaltung betrachtet – hochmodernes Innenleben wurde architektonisch bewundernswert in geschichtsträchtiges Gemäuer eingesetzt –, die Oppenheim-Skulptur „Double Wedding“ vor dem „Neuen Rathaus“ an der Mur, die vielen alten Bürgerhäuser mit ihren perfekt restaurierten Fassaden (als Beispiel sei hier das berühmte „Hacklhaus“ genannt), unter die sich, etwa am Hauptplatz, ein klar strukturiertes Kaufhaus mit Glasfassade und Café mit Aussichtsterrasse mischt. Und der Mut der Stadtväter ringt dem Besucher einiges an Hochachtung ab, denn es wird – an allen Ecken und Enden – gebaut, gebaut und gebaut. Überall spürt man den Aufbruch und die rasante Entwicklung dieser Stadt. Vieles ist schon fertiggestellt, vieles ist noch in Fertigstellung. Wie zum Beispiel das große innerstädtische Einkaufszentrum LCS (Leoben City Shopping) oder die neue Wellness-Oase „Asia spa“, die 2008 fertiggestellt sein wird. Oder die Franz-Josef-Allee, die sich zum Prachtboulevard entwickelt. Oder das Murkraftwerk, das tausende Haushalte mit Strom versorgt. Ganz zu schweigen von den vielen Gebäuden, die von zuwandernden Betrieben errichtet werden oder


Matthias Konrad, Bürgermeister der Stadt Leoben
der wachsenden Montanuniversität Leoben als zusätzliche Institute für Forschung und Lehre dienen, wie z. B. das neue Werkstoffkompetenzzentrum. So ist Leoben noch auf einige Zeit die „Stadt der Kräne“.

Ein Besuch beim amtierenden Leobener Bürgermeister, Matthias Konrad, läßt ein wenig erahnen, wo die Treibkraft für all diese Vorhaben wohl stecken dürfte. Er verfügt, so scheint es, über unerschöpfliche Energien, erzählt um die Mittagszeit von einer 1200-Meter-Bergwanderung, die er – wohlgemerkt – in der Früh bereits absolviert hat. Und er hat seine Mitarbeiter nach marktwirtschaftlichen Überlegungen ausgewählt, für jeden Verantwortungsbereich Profis aus der Wirtschaft verpflichtet, die im Teamwork Hindernisse oder Probleme strategisch zu lösen gewohnt sind. Natürlich sind die Leobnerinnen und Leobner nicht alle ganz so begeistert von dem teils hektischen Treiben auf den dutzenden Baustellen. Die meisten jedoch, so versicherten uns viele, würden mit Stolz miterleben, was hier entstünde. Und wer sich allzusehr gestört fühlt, der kann sich im Gespräch mit dem Bürgermeister Luft verschaffen und ein wenig von dessen Energie mit nach Hause nehmen.

Uni-Absolventen sollen bleiben
Viel nach Hause nehmen können auch Studentinnen und Studenten, die an der Montanuniversität Leoben studieren. Sie sind als Absolventen weltweit gefragte Fachleute in ihren Bereichen, auch wenn der Bürgermeister es gerne sähe, wenn sie ein wenig länger in Leoben blieben, ja, sich dort überhaupt niederließen und sich in Forschung und Lehre


Überall wird gebaut: Leoben, die »Stadt der Kräne«
vertieften. Denn hervorragendes wissenschaftliches Potential sei eine unabdingbare Grundvoraussetzung für die Industrie, um Shareholdern gegenüber langfristige Investitionen in einem Gebiet zu rechtfertigen, das sich – auf den ersten Blick – nur schwer mit Mitbewerber-Städten wie etwa Wien oder Bochum vergleichen läßt. Der zweite Blick löst aber dann Entscheidungen zugunsten Leobens aus, gibt es doch dort kaum vergleichbare Infrastruktur, wie sie in den angestammten und konsequent erweiterten Kernbereichen der Montanuniversität vorzufinden sind.

Das kommt natürlich nicht von ungefähr, es bedarf schon einer gehörigen Portion Routine, Konsequenz und Selbstbewußtsein, als „Kleinstadt“ mit „Weltkonzernen“ um riesige, nachhaltige Investitionen zu verhandeln. Die sind augenscheinlich zufrieden mit ihren Standorten in Leoben. So hat sich, als eines der vielen Beispiele, der schwedische Maschinenbaukonzern Sandvik – der weltweit 54.000 Mitarbeiter beschäftigt – mit vorerst 50 Ingenieuren im neuen Dienstleistungszentrum in Leoben niedergelassen. Und enschied sich, man höre und staune, gegen den Alternativstandort Schweden.

Der Standort Leoben
Darüber darf aber nicht vergessen werden, daß der heimische Weltmarktführer AT & S im modernsten Leiterplattenwerk Europas in Leoben produziert; die VOEST Alpine AG in der Stahlhütte Leoben-Donawitz die mit 120 Metern längsten Eisenbahnschienen der Welt herstellt; RHI seine weltweiten Forschungs- und Entwicklungaktivitäten in Leoben konzentriert hat; das international tätige Unternehmen Knapp Systemintegration hat hier seinen Hauptsitz entwickelt Systemintegration von Lagerlogistik und Lagerautomations-Programmen; oder Sägewerk und Holzgroßhandel, Holzspanplattenwerk Mayr-Melnhof Holz in Leoben-Göss; um nur einige beispielsweise anzuführen, die Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.
Der Stellenwert eines Leobener Produktes bedarf keines Beweises, so bekannt ist er auf der ganzen Welt: „Gösser Bier“ gebraut in Leoben-Göss. Lesen Sie mehr darüber in der nächsten Ausgabe!

Leoben zum Erleben
Und wo es sich gut leben läßt, da zieht es auch Urlauber hin, die sich von den vielen touristischen Angeboten in die ersehnte Entspannung entführen lassen. Da ist es selbstverständlich, daß es in Leoben Tennis- und Squash-Hallen, alle Einrichtungen für Wassersport, Reiten, Golf, Skifahren und -zig Kilometer Radwege gibt.

Ebenso umfangreich stellt sich Leoben als kulturelles Erlebnis dar, beginnend mit dem „Schwammerlturm“, einem der ersten Bauwerke, das 1280 als Mautturm errichtet wurde; das Stadttheater Leoben, das, 1790 gegründet, das älteste durchgehend bespielte Theater Österreichs ist; das 1485 „Alte Rathaus“ am Hauptplatz; ihm schräg gegenüber das aus dem 16. Jahrhundert stammende „Hacklhaus“ mit reich verzierter Stuck-Fassade; das 1883 gegründete Museum der Stadt Leoben, das in der Zwischenzeit ein bedeutendes kulturhistorisches Museum – und, dank neuester Technologien, zum beliebten Besuchsziel von Kindern und Jugendlichen wurde; faszinierende Kirchen; u.v.a., nicht zuletzt, das Stift Göss.

http://www.leoben.at
Alle Fotos: Österreich Journal    
Diesen Artikel finden Sie auch im "Österreich Journal" pdf-Magazin, Ausgabe 040
zurück