Über 100 Jahre altes Spielzeug  

erstellt am
28. 11. 08

Der Matador hat dem Verdrängungswettbewerb von Game-Boy & Co.
standgehalten – dank einem Ehepaar aus Niederösterreich, das eigentlich
»nur« nachhaltiges Spielzeug für seine Kinder gesucht hat. Von Michael Mössmer.
     
Was ist denn eigentlich aus dem Matador geworden? Diese Frage haben sich viele Menschen – vor allem ältere Semester – schon oft gestellt. Wesentlich war es jedoch, daß sich das Ehepaar Claudia und Michael Tobias mit dem Stellen der Frage nicht zufriedengab, denn deren Kinder sollten mit diesem natürlichen und kreativen Spielzeug aufwachsen. Michael Tobias ist, wie auch der Schreiber dieser Zeilen, selbst mit Matador aufgewachsen und begann gemeinsam mit seiner Frau zu recherchieren. Schnell stellte sich heraus, daß die Produktion


Jeder, der mit Matador aufgewachsen ist, fühlt sich mit diesem Bild zurückversetzt

Fotos: Matador
 
Jahre zuvor eingestellt wurde und die Markenrechte bei einem gewissen Kurt Falk lagen. Jenem Kurt Falk der – gemeinsam mit Hans Dichand – Eigentümer der „Kronen Zeitung“ war und sich durch den Verkauf seines Anteiles neben dem Wochenmagazin „Die ganze Woche“ und der Tageszeitung „täglich alles“ wohl mit dem Erwerb von Matador auch einen Jugendtraum erfüllt hatte. Kapital war ausreichend vorhanden, also kaufte Falk im Jahr 1978 das Unternehmen Matador und brachte das beliebte Spielzeug wieder auf den Markt. Das Prinzip der Holzklötze, die mit verschiedenen Accessoires bestückt zu den waghalsigsten Gebilden zusammengesteckt werden, behielt er bei. Es dürften wohl die modernen Konkurrenten auf den Gabentischen wie Gameboy u.ä. dazu geführt haben, daß Falk einige Bestandteile durch Kunststoff ersetzte, um ein wenig Zeitgeist in die Holzbaukästen zu bringen. Jedenfalls war der erfolgreiche Verleger mit der wirtschaftlichen Entwicklung seines Hobbies nicht zufrieden und stellte schließlich 1987 die Produktion ein.

Mit 1987 war alles vorbei
Damit war es für die unzähligen Matador-Freunde auf der ganzen Welt vorbei mit dem Nachbestellen von Erweiterungen, Ersatzteilen, Bauanleitungen usw. Nun, könnte man sagen, finden sich Kinder ja recht schnell mit einer Veränderung im Alltag ab, insbesondere dann, wenn es ausreichend anderes Spielzeug gibt. Doch zwei Mal gefehlt, denn erstens waren nicht in erster Linie Kinder betroffen, sondern Erwachsene, die auf ihren Matador als liebgewordenen Zeitvertreib nicht verzichen wollten. Und zweitens wollten Erfinder, die ihre ersten Modelle mit Matador zusammenstellen, bevor die Entwürfe so richtig ins Geld gehen, das hochtechnische Konstruktionswerkzeug nicht missen. Als Beispiel sei hier ein Techniker genannt, der einen Matador-Pflug baute, so seinem Team die technischen Vorzüge schmackhaft machen und den Hi-Tec-Pflug später zu Serienreife brachte.

Kurt Falk verkaufte die Rechte
Also nahmen sich Claudia und Michael Tobias ein Herz, vereinbarten einen Termin mit Kurt Falk und erwarben 1997 die Rechte an der Marke Matador, deren erstes Patent bereits am 2. November 1901 von dessen Erfinder, dem Wiener Bauingenieur Johann Korbuly, angemeldet wurde (er war übrigens, unter anderem, Bauleiter beim Bau der Grazer Schloßbergbahn in den Jahren 1893/ 1894). Die Idee zum Matador ist, im Grunde genommen, ebenso einfach wie genial. Als Korbuly eines Tages die Streitereien seiner Kinder wieder einmal nervten, eines hatte einen Turm aus Bausteinen gebaut, der vom anderen gleich wieder umgeworfen wurde, kam ihm die Idee, die quaderförmigen Teile durch ein Stecksystem zu verbinden. Die ersten Löcher wurden in die gleichmäßigen Holzklötze gebohrt und runde Holzstäbchen auf Länge geschnitten: schon war die gewünschte Verbindung geschaffen. Korbulys Kinder waren ebenso begeistert wie deren Freundinnen und Freunde, wodurch sich der findige Techniker daran machte, Matador-Baukästen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vom Gedanken, das Patent einem gewerblichen Spielzeughersteller zu verkaufen, verabschiedete sich Korbuly rasch, denn es stellte sich heraus, daß weder daran, noch Interesse selbst seitens des Handels bestand, derart anspruchsvolles Spielzeug ins Sortiment aufzunehmen. Also entschloß sich Korbuly, selbst in die Produktion einzusteigen. Er muß wohl, neben seinen technischen Fähigkeiten, auch ein guter Kaufmann gewesen sein, denn bald wurde die kleine Manufaktur in der Wiener Bräuhausgasse zu klein und auf zwei Übersiedlungen in jeweils größere Werkstätten folgte 1915 die sukzessive Auslagerung der Produktion nach Pfaffstätten, wo Korbuly die ausgebrannte „Preißmühle“ erworben hatte. Nur Adjustierung und Verkauf hatte er am Standort Wien beibehalten.

Absolute Präzisionsarbeit
„Es ist faszinierend, mit welcher Genauigkeit zu damaligen Zeiten bereits gearbeitet wurde“, ergänzt Michael Tobias, der weiß, wovon er spricht, geht es doch bei der Bohrung der Löcher in die Buchenholzklötze um Toleranzen von einem 500tel Millimeter. „Man bedenke, daß vor allem bei längeren Bauteilen die geringste Ungenauigkeit genügt, daß sie an einem der beiden Enden nicht mehr zusammenpassen“, so Tobias, der auch noch von anderen Spitzfindigkeiten zu berichten weiß. An einer Kleinigkeit, ergänzt Claudia Tobias, wäre das Projekt „Matador neu“ beinahe gescheitert: „In die Löcher der Klötze werden sogenannte Klemmhülsen gesteckt, in denen dann die Verbindungsstäbchen festen Halt finden. Alle technischen Voraussetzungen für die eigene Fertigung aller Bestandteile bei uns waren geschaffen, bis auf die Klemmhülsen. Also machten wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Hersteller. Schon nach kurzer Zeit standen wir vor dem Problem, daß es niemanden gab, der diese kleinen Blechbestandteile zu einem nur halbwegs vernünftigen Preis hätte anbieten können. Selbst bei Annahme des günstigsten Angebotes hätte sich der Preis für unseren ersten Baukasten dermaßen erhöht, daß wir die Markteinführung hätten vergessen können.“

Da kam dem rührigen Ehepaar die Idee, man könnte doch einmal in der ehemaligen (Falk‘schen) Matadorfabrik in Traiskirchen nachsehen, ob dort vielleicht etwas zu finden wäre, was das entscheidende Problem vielleicht lösen könnte. Und wirklich: unter einer Vielzahl alter, verstaubter Spezialmaschinen aus der Vor- und Nachkriegszeit wurde eine ausfindig gemacht, mit Hilfe derer über Generationen die Klemmhülsen hergestellt wurden. „Die Maschine hatte die für die Nachkriegszeit so typischen Merkmale, an denen erkennbar war, wie sie – von einem phantasievollen Handwerker – mittels sicherlich gerätefremder Bestandteile am Laufen gehalten wurde. Glücklicherweise hat der ,Bastler‘, er war ein Schmied aus der näheren Umgebung, sich noch an alles erinnern können und erklärte sich bereit, für uns die Klemmhülsen in Lohnarbeit herzustellen. Zwischenzeitlich ist er leider verstorben, ,seine‘ alte Maschine läuft nach wie vor in unserem Betrieb in Waidhofen an der Thaya“, so Claudia Tobias.

Schwere Zeiten
Gut lief es auch für den „Vater“ des Matador, Johann Korbuly. 1906 eröffnete er sein erstes Detailgeschäft am Wiener Graben, das gleich im ersten Geschäftsjahr schwarze Zahlen schrieb. Auch die Filialen auf der Mariahilfer, der Nußdorfer Straße und in Berlin freuten sich regen Zuspruchs. Sehr lange konnte sich Johann Korbuly an seinem und am Erfolg seiner beiden Söhne Johann Julius und Rudolf (sie führten den Betrieb ab 1894 gemeinsam) nicht freuen, denn er starb 59jährig im Frühjahr 1919. Die folgenden Jahre waren bestimmt durch weiteren Aufbau, der durch die Einstellung der Produktion während des Zweiten Weltkriegs jäh unterbrochen wurde – es wurden nur mehr Sprengkapselschachteln erzeugt. Zu Ende des Krieges gingen zwei komplette Waggonladungen davon ebenso verloren, wie die dafür erwartete Bezahlung, die für den Wiederaufbau der mittlerweile ausgebrannten Fabrik sehr hilfreich gewesen wäre. Doch das konnte Rudolf Korbuly nicht hindern: mit ehemaligen aus der Gefangenschaft heimgekehrten Mitarbeitern versuchte er mit dürftigsten Mitteln wieder Voraussetzungen für eine künftige Produktion zu schaffen. Besonders hilfreich war, daß eine Druckerei durch Zufall noch Vorlagen aufgehoben hatte, sodaß 1946 wieder der erste Matador-Baukasten die Produktion verließ. Bis zum Verkauf an Falk war der Großneffe des Erfinders, Rudolf Korbuly, im Unternehmen tätig und war für die Entwicklung von Maschinen von Vorrichtungen verantwortlich.

Matador heute
Apropos Vorlagen: Die Zahl der in der Druckerei aufgefundenen Druckvorlagen reichte vollkommen aus, um die Standard-Baukästen bzw. deren Inhalte wieder nachzuempfinden. Als besonders hilfreich stellten sich die unzähligen Freunde des Matador auf der ganzen Welt heraus, die der Familie Tobias, seit bekannt wurde, daß sie Matador wiederbelebt hat, die unbezahlbare Recherche nach historischen Unterlagen in allen möglichen Archiven abgenommen haben. „Man versorgt uns völlig uneigennützig“, so Claudia Tobias, „wir könnten uns das, offengestanden, in dem Umfang gar nicht leisten. Es hat aber den Vorteil für viele andere, die dann wiederum bei uns nach einer alten Bauanleitung fragen, die wir dann auch gerne und unbürokratisch zusenden. Nur, wenn jemand eine sogenannte ,Matador-Zeitung‘ bestellt, verrechnen wir eine Art Schutzgebühr von 5 Euro. Dafür ist darin auf mehreren Seiten eine Menge historischer Bauanleitungen enthalten.“ Und so kommt es, daß sich immer wieder – und das freut die Familie Tobias – durchaus ältere Menschen melden und nach einer Vorlage fragen, die einst, vor 60, 70 Jahren, zum Bau eines Krans, einer Lokomotive oder eines Ziehbrunnens verwendet wurden. Viele dieser älteren Herren verbringen ihre Zeit mit Matador selbst, viele wieder freuen sich, ihn ihren Enkerln schenken zu können. Oft auch schon deshalb, weil man ihn als Kind – trotz heftigster Wünsche – nicht bekommen konnte. Aber nicht nur Väter und Großväter zieht es zum Matador, wie die vielen Veranstaltungen zeigen, die vom Ehepaar Tobias und seinem Team geplant und durchgeführt werden. Auch Mütter und Großmütter finden sich bei den vielen Spielefesten ein, wo Kisten mit Matador-Baumaterial zur Verfügung stehen. Weiterer Einsatz findet sich in Bereichen, wo man den Matador kaum vermuten würde: in Seniorenwohnheimen, in Rehabilitationseinrichtungen, bei der Behandlung von Legasthenikern und vielen anderen.

Rührende Kundenbindung
Die enge Beziehung zwischen „Hersteller“ und „Anwender“ sei hier noch besonders hervorgehoben. Es gibt Dutzende von Ordnern, die mit Briefen, Fotos, Schnittzeichnungen gefüllt sind von Matador-Freundinen und Freunden, natürlich aus der ganzen Welt, die über ihre Erinnerungen schreiben, Jugendfotos aus nahezu allen Dekaden des 20. Jahrhunderts schicken, die sie beim Bauen – alleine oder in Gruppen – zeigen, die Entstehung von Eigenkonstruktionen minutiös beschreiben. Was ja, dank der konsequenten Numerierung der Bauteile, keiner allzu aufwendigen Beschreibung bedarf – von der künstlerischen Darstellung der Kreation abgesehen.
 

Der Matador-Baukasten Klassik 3 mit 410 Teilen, Werkzeug und Bauanleitung


Nicht wegzudenken sind, seit Claudia und Michael Tobias den Matador wieder herstellen, die Baukästen aus den Kindergärten und Volksschulen. In letzteren gibt es seit einigen Jahren Wettbewerbe, in denen um die Wette gebaut werden kann. „Die Prämiierung der Arbeiten fällt immer wahnsinnig schwer“, gesteht Claudia Tobias, die am liebsten allen Teilnehmern Preise aushändigen würde, so großartig sind meist die Leistungen. Und das ist Teil des Ziels, das die „neuen“ Matador-Inhaber verfolgen: Neben der Erhaltung eines nachhaltigen Kulturgutes – schließlich wächst der Rohstoff vor der Haustür, es wird alles im Land gefertigt – sollen Kreativität und Teamgeist gefördert werden. Das machen sich auch große Unternehmen zunutze, die Teams dazu auffordern, in Seminaren aus Matador-Baukästen Konstruktionsaufgaben zu lösen. Es geht hier nicht um Qualität oder Aussehen des derart Geschaffenen, sondern um die Fähigkeit, die Gemeinsamkeit über die eigenen Vorstellungen zu stellen.

Gefördert wird von Claudia und Michael Tobias aber auch Soziales, wie, um nur ein Beispiel zu nennen, etwa in Form von Finanzierung und Bau des Bühnenbildes für das Kindertheaterprojekt „Don Quijote – Ein Vorspiel“. Kinder und Jugendliche aus dem Integrationshaus Wien und der Musikschule Floridsdorf spielten und musizierten unter der Regie von Manfred Michalke und der musikalischen Leitung von Christoph Cech, die Uraufführung fand im „Dschungel Wien“ statt. Für diesen Einsatz dankte man der Matador Spielwaren GmbH mit einer Anerkennung in der Kategorie I des 8. Kultursponsoringpreises „Maecenas Niederösterreich 2008“.

Eine besondere Gemeinsamkeit haben die Mitglieder im kostenlosen „Matador-Club“, in dem man sich gegenseitig austauschen und sich für einen Newsletter anmelden kann. Es erübrigt sich fast, zu erwähnen, daß vom Matador-Hauptsitz aus jede Art von Ersatzteilen in die ganze Welt verschickt werden, die man auf der dreisprachigen Matador-Homepage auswählen kann.

Wenn wir nun hier enden, liegt es nicht daran, daß es nichts mehr zu berichten gäbe, vielmehr mangelt es an weiteren Seiten. Sie haben aber die Möglichkeit, zu bestimmten Terminen das Matador-Werk in Waidhofen an der Thaya zu besichtigen und dort alle noch offenen Fragen zu stellen. Wem das nicht möglich ist oder nicht so lange warten will, der ist eingeladen, die Kontaktmöglichkeiten auf der Homepage zu nutzen.
     
http://www.matador.at    
     
Diesen Artikel finden Sie auch im "Österreich Journal" pdf-Magazin, Ausgabe 066
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