da Vinci im Schottenstift  

erstellt am
30. 09. 08

Der geniale Erfinder Leornado da Vinci (1452-1519) wird in einer interaktiven Ausstellung in den Kellergewölben des Schottenstiftes auf der Freyung gezeigt.
Von Christa Mössmer.
     
Es kreucht und fleucht, es flattert, es schwimmt und kriecht. Tiere der Erde, Tiere des Wassers und der Luft. Das waren Vorbilder für viele Erfindungen, die Leonardo da Vinci in seinen Codices und Notizbüchern entwarf. Ob Fisch, Vogel oder Schildkröte, er studierte und beobachtete Bewegungen und Leistungsfähigkeit. Der Flügelschlag, die Panzerung der Kröte, die Flosse – nichts entging den scharfen Augen und dem brillanten Geist des am 15. April 1452 in Anchiano bei Vinci geborenen Künstler, Erfinder und Wissenschafter. Der viefe Leonardo schrieb oft in Spiegelschrift und wollte wahrscheinlich damit verhindern, daß sich andere seine Erfindungen aneignen. So hatten selbst in der Gegenwart,


Der »Wegmesser« zeigte anhand »verbrauchter« Kugeln die Wegstrecke an

Foto: Interaktive Ausstellung im Schottenstift
 
als der Brite Adrian Nicholas im Jahr 2000 versuchte, den Fallschirm nachzubauen, seine liebe Not, die eingebauten Fehler zu entdecken, ebenso wie die britische Armee mit dem hölzernen Panzerwagen. An die 50 Objekte können in den Kellergewölben der Schottenstifts Wien angesehen, berührt, gedreht und gezogen werden. Es hämmert und schleift, es klopft und klingelt, wenn man durch die Räume wandelt von einem Objekt zum anderen. Denn man darf 80 Prozent der Objekte anfassen, berühren, drehen und ziehen.

Was waren die Erfindungen, die uns heute, nach 500 Jahren, noch immer so faszinieren? Zum Beispiel eine Konstruktion, die als Wegmesser fungierte und von einer Person gezogen werden sollte. Mit diesem Wegmesser kann eine bestimmte Länge gemessen werden. Bei jeder Radumdrehung fällt eine Holzkugel in den Kasten. Nachdem man das Gestell eine gewisse Strecke zieht, kann man aufgrund der Anzahl der Kugeln feststellen, wie lang die Strecke war. Oder der Schwimmhandschuh, bei dem ein Handschuh um das Handgelenk gebunden wird, um sich im Wasser leichter zu bewegen. Und um gleich beim Wasser zu bleiben: es gibt Schwimmflossen, mit denen man auf dem Wasser laufen kann. Vielleicht war Leonardo da Vinci angeregt, als er im Neuen Testament von Jesus las, der über das Wasser wandeln konnte. Aber hier natürlich nicht mit der übersinnlichen Kraft eines Heiligen, sondern mit der Erfindung eines menschlichen Geistes, deren Stützen mit Luft aufgeblasene Lederschläuche versehen an Händen und Füßen mit Stöcken befestigt wurden. Dadurch wurde eine Gleitfähigkeit über Wasser garantiert.

Sehr interessant auch das Hygrometer, mit dem man atmosphärische Veränderungen messen konnte. Aber zu viel sei nicht über die Objekte verraten, wie z. B. ein Kugellager, ein Selbstverschluß-System, eine exzentrische Nocke, ein vertikaler Flieger, eine Luftschraube, ein Fallschirm, ein feuernder Mörser, ein Katapult, ein mehrläufiges Geschütz und, neben den Kriegsgeräten, auch ein Glockenspiel. Diese Maschinen, Fluggeräte und Roboter von Leondardo in technischen Skizzen aufgezeichnet, wurden heute aus Holz für die Austellung von zwei italienischen Spezialisten nachgebaut.

Es lohnt sich auf jeden Fall, die Ausstellung zu besichtigen, um all die nachgebauten Objekt auch selbst zu berühren. Ergänzt wird sie noch mit zahlreichen anatomischen Zeichnungen von Mensch und Tier wie, z. B. Ansichten eines Kuhmagens von außen und innen oder eines Fötus im Mutterleib. Daneben gibt es auch noch Zeichnungen von Pflanzen und Tieren. Auf einer kleinen Tafel sind neben jedem Objekt Skizzen von Leonardo da Vinci abgebildet und in deutsch, englisch und italienisch erklärt.

Unbedingt erwähnt sei auch das „Das letzte Abendmahl“, leider eine Kopie, die an der Stirnseite eines Austellungsraums angebracht wurde (das Original befindet sich im Refektorium des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grade in Mailand). Das herrliche Kunstwerk kann auch im Internet betrachtet werden. Die Firma HAL9000 hat ein Digitalfoto des Gemäldes mit einer Auflösung von 16 Milliarden Pixeln online gestellt. Bis auf einen Quadratmillimeter kann man das Bild heranzoomen, ohne daß Schärfe und Kontrast darunter leiden. Die Aufnahmen wurden mit einer Nikon D2Xs und dem Objektiv AF-S Nikkor 600mm f/4D IF-ED II gemacht. 1677 „Schüsse“ waren nötig, um das gesamte Gemälde zu erfassen. Die genaue Auflösung beträgt 172.181 x 93.611 Pixel (den Link darauf finden Sie am Seitenende).

Diktatisch ergänzt die Austellung noch ein Film in zwei Folgen von Tim Dunn und Sarah Aspinall, über das Leben und Wirken Leonardo da Vinci. Der Film zeigt, Leonardos Erfindungen und wie Experten diese nachbauen und auch selbst ausprobieren. Sei es in der Luft mit dem Fallschirm, unter Wasser mit dem Taucheranzug für einen Unterwasserkampf oder im Panzer, aus Holz gebaut, der in der Ausstellung zu begehen ist. Der Panzerwagen hätte sich in der Realität kaum bewährt, aber da Vinci wollte damit die mächtigen Herren seiner Zeit beeindrucken, wie in der Ausstellung nachzulesen ist.

Leonardo da Vinci ging weit über das gewöhnliche Erscheinungsbild der Welt hinaus. Das Phantastische, das Ungewöhnliche und das Unentdeckte bestimmten sein Denken und Wirken. Ob er heimlich im Keller Leichen sezierte, um festzustellen, wie das Innere eines Menschen beschaffen sei, oder ob er an Hügeln und Felsen merkwürdige Formen erkannte, die er in der Malerei in Form der „Sfumato-Technik“ umsetzte,
 

Selbst die britische Armee hatte Probleme mit dem Nachbau von da Vincis hölzernem Panzerwagen. Nein, nicht damals, sondern im 20. Jahrhundert.

Foto: Österreich Journal
seine charakteristische Weichzeichnung von Motiven oder für die damalige Zeit seltene Pflanzen und Tiere skizzierte, ja selbst die Bewegungen des Wassers. Für seine Bilder ging er unter die Menschen und suchte nach ungewöhnlichen Gesichtern und Figuren. Nichts überließ er dem Zufall. Und sein Traum von dem fliegenden Menschen ist ein kollektiver Traum, der uns bis heute begleitet, und den Leonardo in Form von phantastischen Fluggeräten umsetzte.

Hat man über ihn gelacht und gespottet? Vielleicht. Heute lacht niemand über Leonardo da Vinci. Ein geborenes Genie, das zu früh auf die Welt kam, sagt man. Aber war es nicht gerade der Geist, der überlebte und seine Wirkung weitertrug bis in die heutige Zeit? Vieles davon konnte erst durch die Erfindung von neuen Materialien wie Eisen und Stahl im 19. Jahrhundert umgesetzt werden.

Wer die Ausstellung besucht und wer sich mit dem Leben von Leonardo da Vinci vertraut macht, mag sich wie ein Zwerg vorkommen. Hat heute ein Mensch überhaupt die Möglichkeit, sich so entfalten zu können, um einen Bruchteil der Genialität Leonardo da Vincis zu erreichen? Denn für Kreativität, für eigenständiges Handeln und Denken wird der Mensch heute fast nicht mehr anerkannt. Der Mensch von heute, der sich hochzivilisiert wähnt, ist dem wirtschaftlichen Pragmatismus und dem Wettbewerb auf den Märkten unterworfen. Vielleicht bringt die amerikanische Wirtschaftskrise uns Menschen zum Umdenken. Menschen wie Leonardo da Vinci sind gefragt, die in ihrer kontemplativen Betrachtung die Fähigkeit besitzen, nicht nur das Erscheinungsbild zu erkennen, sondern auch den Geist, der dahinter steht.

Aber trotz aller Bewunderung vor den Leistungen, die dieser Mann uns vor 500 Jahren geschenkt hatte, müssen wir einen Schritt weitergehen, nämlich, so wie Herbert Pietschmann in seinem Buch „Gott wollte Menschen – Die Genesis ist jeden Tag“ schrieb: „Ich träume von einer Welt (...), in der großartige Erfindung der Naturwissenschaft dem Leben dient und nicht dem Tode und der Zerstörung.“
     
http://www.mostradileonardo.com    
     
Diesen Artikel finden Sie auch im "Österreich Journal" pdf-Magazin, Ausgabe 064
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