Graz als Kulturhauptstadt Europas
Die steirische Landeshauptstadt zeigt, was eine Stadtgemeinschaft unter größter Kraftanstrengung zu leisten imstande ist.

Dieser Artikel ist am 17. 01. 2003 im »Österreich Journal« erschienen

Die Idee zur Schaffung einer europäischen Kulturhauptstadt geht auf Melina Mercouri zurück. Die damalige griechische Kulturministerin überzeugte den EG-Ministerrat von ihrer Vision, jedes Jahr eine andere Stadt zum Brennpunkt europäischer Kultur zu machen. Die Intention: die Völker der EU-Mitgliedsstaaten einander näher zu bringen, die kulturelle Zusammenarbeit zu verbessern und neben dem ökonomischen und


Der New Yorker Stardesigner Vito Acconci gestaltet die »Murinsel«
politischen auch den kulturellen Einigungsprozeß zu fördern.

Seit Athen 1985 erste Kulturhauptstadt Europas wurde, hat sich einiges verändert. War die programmatische Ausrichtung zu Beginn weniger eindeutig definiert, „so handelt es sich bei heutigen Kulturhauptstädten um identitätsstiftende Ereignisse von lokaler, regionaler, nationaler und internationaler, von großer künstlerischer, gesellschaftlicher, kulturpolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Eine Kulturhauptstadt nach der Jahrtausendwende ist nicht einfach ein Ort, an dem ein Jahr lang Kunst stattfindet, sondern ein Topos, aus dem heraus europäischer Kulturmehrwert geschaffen werden soll“, so der Intendant von Graz 2003 Kulturhauptstadt Europas, Wolfgang Lorenz.


Bisherige und künftige Kulturhauptstädte

Die erste Kulturhauptstadt Europas war 1985 Athen. Darauf folgten Florenz (1986), Amsterdam (1987), Berlin (1988), Paris (1989), Glasgow (1990), Dublin (1991), Madrid (1992), Antwerpen (1993), Lissabon (1994), Luxemburg (1995), Kopenhagen (1996), Thessaloniki (1997), Stockholm (1998), Weimar (1999), Avignon, Bergen, Bologna, Brüssel, Krakau, Helsinki, Prag, Reykjavik, Santiago de Compostela (2000), Rotterdam, Porto (2001), Brügge und Salamanca (2002).

In den kommenden Jahren folgen

Genua und Lille (2004), Cork (2005), eine Stadt in Griechenland (2006), in Luxemburg (2007), in Großbritanien (2008), in Österreich (2009), in Deutschland (2010), in Finnland (2011), in Portugal (2012), in Frankreich (2013), in Schweden (2014), in Belgien (2015), in Spanien (2016), in Dänemark (2017), in den Niederlanden (2018) und in Italien (2019). Zusätzlich wird ab 2005 jährlich auch eine Stadt außerhalb der EU ausgewählt.


Graz – wer hätte das gedacht?

Als damals noch junges Mitglied der EU bekam Österreich 1998 die Möglichkeit, eine seiner Städte für den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ zu nominieren.


Das britische Architektenteam Peter Cook/Colin Fournier erhielt in einem internationalen Wettbewerb den Zuschlag für ein spektakuläres Kunsthaus am Murufer.
Die Österreichische Bundesregierung hatte Graz zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal für den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ nominiert. Beim ersten Mal (1988) wurde Graz mit der Durchführung des „Kulturmonats“ 1993 beauftragt. Bei der Bewerbung für 1998 oder 1999 wurden Stockholm bzw. Weimar vorgezogen. Ursprünglich hätte Graz im Jahr 2000 die zehnte Kulturhauptstadt werden können und somit aber das gleiche Schicksal erlitten wie seine Mitstreiter – nämlich unbemerkt bleiben. Deshalb wurde entschieden – auch auf die Gefahr hin, daß das Unternehmen Kulturhauptstadt aufgrund des 2000er Mißerfolges abgeschafft werden könnte – Graz für das Jahr 2003 zu nominieren. Beim dritten Mal wurde dann der Titel tatsächlich Graz zugesprochen.

Auch die diesjährige Kulturmonatsstadt St. Petersburg hatte sich gleichzeitig mit Graz beworben. Da aber erst ab 2005 nicht-europäische Staaten Kulturhauptstädte nominieren dürfen, blieb Graz alleinige Kulturhauptstadt für das Jahr 2003.

   

St. Petersburg, das 2003 auch sein 300-jähriges Jubiläum feiert, tritt mit dem Programm von Graz 2003 in vielen Projekten in einen intensiven Dialog.

Bemerkenswerterweise fiel die Wahl der Bundesregierung nicht etwa auf Wien oder Salzburg, sondern auf Graz. Graz – wer hätte das gedacht?


Faszinierender Grazer Bahnhof
Bereits seit 1990 legten die Kulturminister der EU Wert darauf, nicht mehr die Metropolen zu Kulturhauptstädten zu ernennen, sondern kleinere, nicht so bekannte Städte. Bekannt war auch, daß man in Brüssel von der Stadt Graz eine besondere Kompetenz betreffend Ost und Südosteuropa erwartete. Auch der interreligiöse Dialog fehlte nicht in der Geschichte von Graz und wird sich auch im Programm von Graz 2003 niederschlagen.

Während des „Kalten Krieges“ war Graz als westeuropäische Stadt in unmittelbarer Nähe des „Eisernen Vorhangs“ in keiner günstigen touristischen Position, fungierte aber als erster Brückenkopf für Künstler und Kulturschaffende aus Osteuropa. Hier konnten sich viele über neueste Strömungen der Gegenwartskunst informieren und ihre eigene Arbeit „im Westen“ präsentieren. Diese Verbindungen zum Südosten Europas wurden für Graz zu einer tragfähigen Basis für neue Brückenschläge während der großen Veränderungen, die die europäische Gegenwart prägen. Schon im Zuge der Durchführung des „Europäischen Kulturmonats“ 1993 stand diese neue Rolle von Graz als Tor zum Südosten des Kontinents im Zentrum des Programms. 2003 positioniert sich Graz als Kulturhauptstadt inmitten eines neuen Europas.

„Graz“, heißt es in der Bewerbung der Stadt um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“, „liegt seit Jahrhunderten am Schnittpunkt der europäischen Kulturen. Hier konnten sich romanische und slawische, auch magyarische und germanisch-alpine Einflüsse zu einem ganz spezifischen Charakter verbinden.“

Ein Charakter, dem eine ganz besondere Lust an der Innovation wohl nachzuweisen ist. Und das nicht nur in den Bereichen Wissenschaft und Wirtschaft.

Grazer Skyline am Eröffnungsabend: Schloßberg (links) und Uhrturm, darunter die hellbeleuchtete »Murinsel«

Alle Fotos: Harry Schiffer

Im 20. Jahrhundert zählte Graz mit dem Forum Stadtpark als Keimzelle zeitgenössischer Kunst und bedeutender Literatur und mit dem internationalen Festival „steirischer herbst“ zu den Ausgangspunkten der internationalen Avantgarde. Was vermutlich eine gute Basis ist, sich den Herausforderungen des ständigen Wandels von Kultur und Gesellschaft im 21. Jahrhundert zu stellen.

„Die multikulturelle Tradition, die den Charakter der Stadt seit Jahrhunderten prägt, wird in Graz heute als Fundament seiner kulturellen und politischen Identität verstanden.“ heißt es in der Bewerbung von 1996/97. Das Programm von Graz 2003 unterliegt keinem bestimmten Motto. Intendant Wolfgang Lorenz geht es darum, zu zeigen, „daß Kunst und Kultur Lebens- und Überlebensmittel aufgeklärter demokratischer Gesellschaften sind.“ Aus diesem Geist wurde ein Programm entwickelt, das sich auf den verschiedensten Ebenen an einem Leitsatz orientiert: „Kultur ist die wichtigste Nachhaltigkeit, die zu erzeugen Zivilisationen imstande sind, die markanteste Erinnerung an die Menschheit und ihre größte Überlebenschance.“


Keine beliebige Einkaufspolitik betrieben

„Wir haben keine beliebige internationale Einkaufspolitik betrieben“, betont Lorenz, „die überwiegende Anzahl unserer Projekte ist original für Graz, meist mit Grazern und Steirern, entwickelt worden.“ Etwa 80 Prozent der Projekte haben ihre Wurzeln in Graz und der Steiermark.

Zur Erarbeitung und Durchführung des Programms für Graz 2003 wurde Wolfgang Lorenz als Intendant mit Programmhoheit engagiert und eine Organisationsgesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Diese wurde mit etwa 50 Millionen Euro an öffentlichen Geldern ausgestattet, wobei 2/3 davon für das Programm und 1/3 für das Marketing aufgewendet werden. Das Gesamtbudget des Kulturhauptstadtjahres beträgt 57 Mio. Euro. Davon kommen je 18,2 Mio. von der Stadt Graz und vom Land Steiermark, nur 14,5 Mio. vom Bund und 0,5 Mio. von der EU. An Einnahmen und Erlösen aus Kartenverkauf etc. erwartet sich Graz 2003 rund 1,1 Mio. Euro. Die Mittel der öffentlichen Hände sollen so weit wie irgend möglich für die Projekte, also die Kunst, und für das Marketing verwendet werden. Die Kosten des eigenen Betriebs werden möglichst aus anderen Quellen finanziert: Dies machte es so wichtig, die Wirtschaft in Form von Sponsoren zu gewinnen. Die von Graz 2003 ermittelte realistische Höhe an Sponsoringeinnahmen sind mit 3,6 Mio. Euro festgelegt.


Zur Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit spielt für Graz 2003 eine wesentliche Rolle. Schon durch die Vorbereitungen auf das Jahr 2003 hat sich die Stadt wesentlich verändert und belebt. Graz 2003 wurde auch zum entscheidenden Impuls für die Stadt, zahlreiche Projekte zu verwirklichen, die die Stadt weit über das Kulturhauptstadtjahr hinaus verändern:

  • In der ganzen Stadt werden infrastrukturelle Maßnahmen gesetzt. (unter anderem Neugestaltung von Hauptplatz und Hauptbahnhof)
  • Die Insel in der Mur des Stardesigners Vito Acconci (Acconci Studio) basierend auf einer Idee und der kuratorischen Entwicklung des gebürtigen Grazers Robert Punkenhofer (Art & Idea) mit ihrem Amphitheater, dem Café und dem Kinderspielplatz wird ab Jänner 2003 zur schwimmenden Kunst- und Kommunikationsplattform.
  • Das Kunsthaus: Das britische Architektenteam Peter Cook/Colin Fournier erhielt in einem internationalen Wettbewerb den Zuschlag für ein spektakuläres Kunsthaus am Murufer.
  • Eine mehrere tausend Personen fassende Stadthalle des Grazer Architekten Klaus Kada wurde dieses Jahr fertiggestellt.
  • Die Helmut List-Halle mit ihrer ausgezeichneten Akustik wurd zu Beginn des Kulturhauptstadtjahres eröffnet.
  • Ein Literaturhaus entsteht und ein Kindermuseum ist in Vorbereitung.
  • Eine Veranstaltungshalle („Dom im Berg“) im Inneren des Grazer Schloßbergs von Reiner Schmid bietet bereits jetzt Raum für Kunst und Kultur.
  • Der Umbau des Forum Stadtpark wurde im Sommer 2000 abgeschlossen.
  • Der Neubau der 1938 zerstörten Synagoge und weitere bauliche Maßnahmen sind bereits vollzogen. 
 
GRAZ 2003
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