Wissenschaft in Europa
der Woche vom 22. 10. bis 28. 10. 2002

   
Kohle zu Kulturschalen
Bonn (alphagalileo) - Weit dünner als ein Haar, und doch eine wirksame Barriere gegen Zellgifte: Hauchdünne Kohlenstoffschichten können verhindern, dass Giftstoffe aus medizinischen Implantaten oder Kunststoff-Petrischalen an die Oberfläche gelangen.
Wissenschaftler aus Rheinbreitbach und Kaiserslautern stellen so genannte „amorphe Kohlenstoffbeschichtungen“ her, mit denen sich beispielsweise Gefäßstützen oder Kulturschalen für Stammzellen „veredeln“ lassen. Um zu testen, inwieweit die Beschichtungen die Erwartungen erfüllen, kooperieren sie mit Zellbiologen der Universität Bonn.
Kardiologen weiten verengte Herzkranzgefäße heute meist mit einem Ballonkatheter und stützen die Ader danach mit einem Metallröhrchen, einem Stent. Um diesen Fremdkörper vor dem Immunsystem „zu verstecken“, suchen die Mediziner nach Materialien, die möglichst schnell von Zellen der Gefäßinnenwand bewachsen werden. Die Firma NTTF – new technologies in thin films – und das Institut für Dünnschichttechnologie in Kaiserslautern stellen ultradünne Beschichtungen aus Kohlenstoff her, mit denen sich Stents und andere medizinische Implantate „veredeln“ lassen. Bonner Zellbiologen untersuchen dann, wie „bioverträglich“ die beschichteten Materialien sind: Wie gut wachsen Hautzellen auf den „veredelten“ Stents? Und entwickeln sie sich so, wie sie es auch im Körper tun würden?
Obwohl lediglich etwa 35 millionstel Millimeter dick, verhindern die Beschichtungen aus Kohlenstoff, dass Substanzen aus dem beschichteten Material an die Oberfläche gelangen – beispielsweise Metallionen oder Weichmacher aus Kunststoffen, die für Zellen giftig sind. Außerdem reagieren sie nicht mit anderen Substanzen, sind flexibel, diamantähnlich hart und lassen sich auf beliebige Werkstoffe aufdampfen. Da dies schon bei Temperaturen unter 50 Grad gelingt, kann man auch Kunststoffe beschichten.
Die Bonner Zellforscher testeten verschiedene beschichtete und unbeschichtete Materialien, inwieweit sich auf ihnen menschliche Epithelzellen, z.B. Zellen der Haut, vermehren und entwickeln können. Beschichtete Stents waren beispielsweise schon nach kurzer Zeit gleichmäßig bewachsen, unbeschichtete dagegen kaum. Die niedrige Temperatur bei der Herstellung der Beschichtung macht es zudem möglich, auch Zellkulturgefäße aus Plastik mit Dünnschichten zu versiegeln. Zellkulturen sind sehr empfindlich; kleinste Mengen Weichmacher oder andere Substanzen können ihre Entwicklung stören und verhindern, dass sie sich teilen und vermehren. Bislang verwenden Zellforscher für ihre Versuche teure Gefäße aus Spezial-Kunststoff. Beschichteter Kunststoff, so zeigen erste Tests, ist eine kostengünstige Alternative – in den Kulturschalen wuchsen die menschlichen Zellen ganz normal heran. Inzwischen ist das Verfahren so weit gereift, dass es zum Patent angemeldet wurde.
Die Wissenschaftler werden ihre Ergebnisse vom 18. bis zum 30. November während einer Ausstellung im Düsseldorfer Landtag präsentieren. Weitere Informationen: www.diedrittemission.nrw.de

 
Medienkonzentration blockiert gestaltende Politik
Studie untersucht gesellschaftliche Folgen
Düsseldorf (pte) - Medienkonzentration behindert den Wettbewerb, blockiert tendenziell gestaltende Medienpolitik und führt zum Abbau von Arbeitsplätzen. Das sind nur einige der negativen Folgen, die eine aktuelle Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) feststellt.
Unter dem Titel "Die gesellschaftlichen Folgen der Medienkonzentration" haben sich der Marktforscher Prognos und das Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) der Universität Zürich mit der zunehmenden Medienkonzentration in Deutschland befasst. Die Autoren Josef Trappel, Werner A. Meier, Klaus Schrape und Michaela Wölk widmen sich im Gegensatz zu bereits vorhandenen Untersuchungen, die vor allem eine Betrachtung aus ökonomischer Sicht bieten, vorrangig den gesellschaftlichen Aspekten.
Die Studie stellt u.a. eine Beschädigung von Öffentlichkeit sowie den Abbau oppositioneller Standpunkte und dadurch eine Verarmung des politischen Diskurses fest. Aus ökonomischer Sicht bedeutet Medienkonzentration Nachteile für Mitbewerber und höhere Barrieren für einen Markteintritt. Zahlreiche Wechselbeziehungen, die Medien mit anderen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Bildung und Kultur ausüben sollen, können oder werden unter den Bedingungen einer Konzentration von den Medien nicht mehr wahrgenommen. Beispielsweise werde durch die Entpolitisierung der Medieninhalte die Medienaufgabe zur Herstellung politischer Öffentlichkeit vernachlässigt, gleichzeitig werde auch der Bildungsauftrag weniger ernst genommen.
Zur Lösung der Problematik schlagen die Studienautoren ein Media-Governance-Modell vor, das im Wesentlichen auf eine Art Selbstkontrolle hinausläuft. Diese soll durch die Verpflichtung von Medienunternehmen und Medienschaffenden erreicht werden, ihr unternehmerisches und publizistisches Handeln öffentlich zu rechtfertigen. So stehen sie unter dem öffentlichen Druck, Akzeptanz für ihre unternehmerischen Entscheidungen zu erreichen. Ob dieses Modell der Praxis gerecht wird, vor allem vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Turbulenzen, die Medien die Notwendigkeit ökonomischen Erfolges vor Augen halten, ist zumindest fragwürdig.

 
Klimaforscher untersuchen Luftschicht über dem ewigen Eis
Bonn (alphagalileo) - Es wird wärmer: Um mindestens 1,5 Grad soll die mittlere Erdtemperatur in den nächsten 50 Jahren steigen. An den Polen könnte die Erwärmung sogar bis zu viermal so hoch ausfallen. Der Temperaturausgleich zwischen den polaren Eisflächen und der Atmosphäre hat auf unser Klima einen großen Einfluss. Was in den Luftschichten direkt über dem Eis passiert, ist bislang aber noch kaum bekannt.
Meteorologen der Universität Bonn untersuchen momentan die atmosphärischen Prozesse in der so genannten „stabilen Grenzschicht“ über den Gletscherflächen Grönlands, die sich bis eine Höhe von 100 Metern erstreckt.
Eine typische Sommernacht: Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, das Thermometer kratzt an der –20 Grad-Marke, kein Vogelzwitschern, kein Grillenzirpen zu hören, nur der Wind, der mal schwächer, mal stärker über die weiße Eisfläche pfeift. Eine typische Sommernacht – an der Summit-Station auf dem Grönländischen Hochplateau, 3.200 Meter über dem Meeresspiegel, zu karg und kalt selbst für Eisbären und Vögel, aber nicht für die Wissenschaftler, die hier oben, im ewigen Eis, ihren Dienst tun. Soweit das Auge reicht, erstreckt sich hier eine topfebene Fläche aus Schnee und Eis – „das ist für uns das ideale Freilandlabor“, sagt Professor Dr. Günther Heinemann, der an der Summit-Station im vergangenen Juni und Juli seine Messungen durchgeführt hat, „hier können wir ohne störende Einflüsse untersuchen, wie der Energieaustausch zwischen Boden und Atmosphäre funktioniert.“
Direkt über Grönland herrscht Chaos: Wenige Meter über dem Boden findet man starke Windschwankungen; innerhalb von Sekunden kann die Temperatur um mehrere Grad fallen, um kurz darauf ebenso schnell wieder zu steigen. Das ganze Jahr über ist es hier am Boden kälter als in der Höhe: Direkt über dem Eis kühlt die Luft am stärksten aus, dann steigt die Temperatur mit der Höhe an und erreicht in etwa hundert Metern ihr Maximum. Erst danach gilt die allen Bergwanderern bekannte Faustformel: Alle hundert Meter wird’s ein Grad kälter.
„Die Turbulenzen und die umgekehrte Temperatur-Schichtung sind charakteristisch für die so genannte stabile Grenzschicht über großen Eisgebieten“, erklärt Professor Heinemann. Bei uns kann man ähnliche Phänomene beobachten: In jeder Nacht kühlt die Luft am Boden besonders stark ab, über Schneegebieten im Winter ist dieser Effekt besonders stark. „Das besondere an den riesigen Eisflächen in den Polgebieten ist aber, dass diese Grenzschicht nahezu das ganze Jahr über stabil bleibt und daß die Stabilität dort extrem groß ist – ideale Voraussetzungen, um die atmosphärischen Prozesse in solchen Schichten zu untersuchen.“
Die Meteorologen versuchen so, den Wärmetransport zwischen den polaren Eisflächen und der Atmosphäre besser zu verstehen. Denn die riesigen Gletscher beeinflussen das gesamte Weltklima; wie stark, weiß allerdings bislang niemand. Ein Grund sind die chaotischen Turbulenzen direkt über dem Eis: Je stärker die sind, desto stärker der Wärmeaustausch mit den höheren Luftschichten – ähnlich wie sich eine Suppe viel schneller abkühlt, wenn man regelmäßig die erwärmte Luft über ihr wegbläst und durch kühle ersetzt.. Leider gibt es kein Modell, das die Turbulenzen vorhersagen kann; die Klimakundler möchten für ihre Prognose-Programme daher realistische Mittelwerte für die turbulenten Austauschprozesse finden.
„Wir haben daher an einer festen Station in zwei Metern über dem Eis 20 Mal pro Sekunde Windgeschwindigkeit und Temperatur gemessen“, erläutert Professor Heinemann. „Unsere Hauptexperimente haben wir aber mit einem Forschungsflugzeug durchgeführt, der Polar 2 des Alfred-Wegener-Instituts.“ Der Flieger bekam dazu gut 200 Kilogramm Messtechnik unter die Tragfäche geschnallt. Hochempfindliche Drucksensoren registrierten den Wind und verrechneten ihn mit der Fluggeschwindigkeit, andere Fühler meldeten zur selben Zeit Höhe, Temperatur, Feuchte und Lagewinkel der „Polar 2“.
So ausgerüstet, durchflog der Bonner Meteorologe mehrmals pro Woche ein quadratisches Areal von 30 Kilometern Seitenlänge und variierte dabei regelmäßig die Flughöhe zwischen 30 und 200 Metern. Die Auswertung der Datenflut wird sich über zwei Jahre hinziehen – auch wenn die Messungen nur im kurzen Polarsommer erfolgen konnten.

Quelle: Meteorologisches Institut der Universität Bonn

 
Forschungsergebnis: Giftstoffe am Meeresboden
Interdisziplinäres Projekt bringt Licht ins Dunkel der Schadstoffe
Hamburg (pte) - Vom 20. bis 21. November findet in Hamburg ein Symposium über die Folgen von Schadstoffen in den Sedimenten von Meeresböden statt. Im Zentrum stehen dabei Forschungsergebnisse, die im Zeitraum von Januar 2000 bis Ende 2002 im Forschungsprojekt ISIS (Identifizierung sediment-gebundener Schadstoffe) erhoben wurden.
Das berichtet die Deutsche Bundesforschungsanstalt für Fischerei, die gemeinsam mit dem Institut für Lebensmittelchemie und Biochemie der Universität Hamburg das Symposium durchführen wird.
Die aquatische Umwelt fungiert als Senke für viele von Menschenhand eingebrachten Gift- und Schadstoffe. Dadurch sind Organismen im Wasser, besonders aber in Sedimenten, einer hochkomplexen Mischung von Schadstoffen exponiert. Zahlreiche Untersuchungen an aquatischen Organismen haben biologische Effekte aufgezeigt, die mit Belastungsschwerpunkten anthropogener Problemstoffe korrelieren, aber nur in den seltensten Fällen ist es möglich, die Effekte einzelnen Substanzen zuzuordnen. Dies aber ist die Voraussetzung für konkrete Schritte im Hinblick auf das Monitoring oder Anwendungsbeschränkungen derartiger Stoffe. Als möglicher Lösungsansatz ist das Konzept der biotestgeleiteten Fraktionierung und Identifizierung von Schadstoffen entwickelt worden. Während für den Abwasserbereich bereits recht umfangreiche Erfahrungen mit diesem Ansatz vorliegen, stehen derartige Untersuchungen in der marinen Umwelt noch am Anfang.
Vor diesem Hintergrund wurde in ISIS ein Verfahren für die biotestgeleitete Identifizierung von Schadstoffen in Sedimenten aus Nordsee und Ostsee entwickelt und erprobt. Die Ergebnisse dieses Projektes und anderer, mit ähnlichen Fragestellungen befasster Forschungsvorhaben sollen vorgestellt werden. Dieses Symposium soll einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Forschung zu diesem Thema in Deutschland geben und eine Diskussion zu den Möglichkeiten, aber auch den Grenzen dieses Ansatzes ermöglichen.

 
Computernetz bringt Licht in Proteinfaltung
Mit vereinten PC-Kräften auch gegen Alzheimer und Parkinson
London (pte) - Ein Netzwerk von tausenden PCs hat das bislang ungelöstes Rätsel, wie ein Eiweiß seine Form erhält, gelöst. Vor zwei Jahren forderte Vijai Pande von der Stanford University, Kalifornien, weltweit zur Projekt-Teilnahme auf. 200.000 PC-Besitzer stellten durch den Download eines Bildschirmschoners ihre freie Computerkapazität zur Verfügung.
Da nun geklärt ist, wie sich ein Protein selbstständig zu einem dreidimensionalen Knoten verdreht, sollen durch die Technik Krankheiten in Angriff genommen werden, die mit der einer defekten Proteinfaltung in Verbindung stehen, z.B. Alzheimer, Parkinson und die Kreutzfeld-Jakob-Erkrankung.
"Die Proteinfaltung ist nicht sehr sexy", bestätigt Pande. Um Teilnehmer zu gewinnen, inserierte der Leiter des Projekts Folding@home in Zeitungen und auf Websites. Wie das Fachblatt Nature schreibt, hat die Unterstützung tausender PC-Besitzer Früchte getragen. Atom für Atom konnte die Proteinfaltung gezeigt werden. Das kleine Molekül, das sich normalerweise in einer Zeit von knapp einer Fünftausendstel Sekunde faltet, benötigte 2000 Jahre Computerzeit, um geknackt zu werden.
Der Versuch einer Erhebung, wie die vielen Atome in einem Protein im Zuge der Faltung interagieren, umfasst rund eine Mrd. Schritte. Wie in einem Labyrinth kann sich das molekulare "Rückgrat" auf verschiedenen Wegen in Schleifen legen, was in den meisten Fällen in eine Sackgasse führt. Pande spekulierte damit, dass einige Proteine quasi eine Abkürzung zur endgültigen Form finden. Das Forscherteam baute daher keine Monster-Maschine, um das Problem in einem einzigen Lauf zu lösen, sondern startet 40.000 bis 50.000 Läufe auf vielen Computern. Die Ergebnisse zeigten, dass Pandes Idee die richtige war. Die Art und Weise wie sich die Proteine falteten, stimmen mit den Labormessungen überein.