Einhelliges Lob für Europäische Verfassung   

erstellt am
03. 03. 05

Erste Befassung des Plenums mit neuer EU-Verfassung
Wien (pk/bpd) - Eine Tagesordnung mit zum Teil "heißen" Themen erwartete heute die Abgeordneten bei der 96. Sitzung des Nationalrats am Mittwoch (02. 03.): Erster Punkt der Tagesordnung war die Budgetrede von Finanzminister Grasser, ein zuletzt heftig debattiertes Thema - die Änderung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes - folgte als Punkt 3.

Nationalratspräsident Andreas Khol begrüßte am Beginn der Sitzung Bundespräsident Heinz Fischer, der der Budgetrede traditionell beiwohnte.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) erklärte, der Weg, den Österreich in dieser Frage gehe, sei ein guter. Er entspreche der heimischen Rechtsordnung und setze auch den anderen Ländern gegenüber ein wichtiges Signal. Die europäische Verfassung gebe unserem Kontinent ein neues Gesicht, und daher unterstütze die ÖVP als Europapartei diesen Prozess. Man habe diesen Weg auch gewählt, weil man eine Volksabstimmung nicht a priori ausschließen wolle, doch sei eine solche Volksabstimmung nur dann sinnvoll, wenn es sich um ein kontroversielles Thema handeln würde. Er sei aber überzeugt, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung diese Verfassung unterstütze.

Der Redner ging auf die Details des Verfassungsentwurfs ein und zeigte sich mit diesen zufrieden. Europa stehe mit diesem Entwurf für Demokratie, und das sei ein wichtiges Markenzeichen. Andere Kontinente könnten sich daran ein Beispiel nehmen. Seine Partei setze sich mit Überzeugung für diese Verfassung ein, betonte der Redner.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) sprach sich ebenfalls für die Ratifizierung dieser Verfassung aus, zumal die Rechte der Bürger gestärkt und die Rechtsverbindlichkeit einer Grundrechtscharta geschaffen würde. Damit werde die EU bürgerfreundlicher, und deshalb trete seine Partei für diese Verfassung ein. Zudem werde die EU handlungsfähiger, und auch das sei ein wichtiger Schritt.

Einem kam auf die wirtschaftsliberale Ausrichtung der EU zu sprechen. Diese Ausrichtung zu ändern sei eine Aufgabe der Politik. Diese Verfassung abzulehnen sei daher nicht zweckmäßig, denn sie biete den Rahmen für politisches Agieren, wie sich auch in Sicherheitsfragen zeige, so Einem, der auch der Befürchtung entgegentrat, diese Verfassung werde Österreichs Neutralität obsolet machen. Darauf deute in diesem Verfassungstext nichts hin, weshalb auch in dieser Frage seitens seiner Partei keine Bedenken bestehen. Zur Frage einer Volksabstimmung meinte der Redner, man möge die Politiker arbeiten lassen, sie würden ihre Arbeit seriös machen.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) signalisierte gleichfalls Zustimmung. Auch seine Partei sei für diese Verfassung, weil sie notwendig sei, um eine Union der 25 und bald 27 Staaten funktionsfähig zu halten. Diese Verfassung biete klarere Kompetenzen, werte das Europäische Parlament auf und enthalte weitere Verbesserungen, die seine Partei unterstütze.

Gleichwohl werden die Freiheitlichen die weitere Entwicklung genau beobachten, da es nötig sei, darauf zu achten, wie sich die neuen Regelungen in der Praxis bewähren. Hinsichtlich der Idee einer Volksabstimmung meinte der Redner, er könne die Argumente seiner Vorredner nicht nachzuvollziehen. Er trete für eine europaweite Volksabstimmung am Ende des Ratifikationsprozesses ein. Er halte es für notwendig, die Bürger in diesen Prozess einzubinden, weshalb er für eine Volksabstimmung votiere.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) erinnerte an das seinerzeitige Scheitern der Verhandlungen von Nizza, wo es den Regierungen nicht gelungen war, eine tatsächliche politische Union zu schaffen. Daraus war seinerzeit die Idee entstanden, einen europäischen Konvent ins Leben zu rufen. Dieser Konvent erarbeitete einen Entwurf, der allerdings durch die Regierungsvertreter entschärft worden sei und der ihrer Fraktion noch lieber gewesen wäre als jene Version, die nun vorliege.

Konkret habe man im Vorfeld die Chance auf eine Volksabstimmung vertan. Ihre Fraktion wolle eine solche Abstimmung auf europäischer Ebene, und dafür werde sie auch weiterhin eintreten. Der Entwurf beinhalte gleichwohl einige wichtige Fortschritte, die in die richtige Richtung wiesen. Deshalb spreche sich ihre Fraktion für diesen Entwurf aus und werde sich dafür einsetzen, diese Verfassung weiterzuentwickeln.
   

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL erläuterte, weshalb diese Verfassung so wichtig sei (Transkript):

Sehr geehrte Damen und Herren,
Hohes Haus!

Die alte Verfassung ist nicht mehr zeitgemäß für eine Union, der inzwischen 25 Mitgliedsländer angehören. Die Verfahren sind extrem kompliziert, sie umfassen rund 27 verschiedene Mitbestimmungsverfahren zwischen dem Rat, dem Parlament und allen anderen Institutionen. Wir haben daneben noch immer diese völlig undurchschaubare Drei-Säulen-Struktur, das eine ist das Gemeinschaftsrecht, das zweite sind die reinen Maßnahmen in der Außenpolitik, die zwischen den Regierungen zwischenstaatlich ausgehandelt werden, und die dritte Säule ist eine Art Mischform. Es gibt unzureichende Antworten gerade auf jene Fragen, die die europäischen und österreichischen Bürger besonders bewegen. Dazu gehören etwa die Fragen der Wirtschaft, Arbeitsplätze oder innere Sicherheit. Insgesamt erlaubt diese alte Verfassung wegen der Notwendigkeit, zu einstimmigen Beschlüssen zu gelangen, sehr viele Blockademöglichkeiten. Es kann praktisch einer alle blockieren, wenn ihm irgendetwas nicht passt. Und das ist, glaube ich, in einer Union, die miteinander weiterkommen will, nicht sinnvoll. Daher ist diese Verfassung durch einen Konvent vorbereitet worden.

Meine Damen und Herren!

Giscard d’Estaing hat mit über 100 Mitarbeitern einen hervorragenden Entwurf vorgelegt, der aus österreichischer Sicht zu 95 Prozent völlig akzeptabel gewesen ist. Er konnte in einigen Punkten auch noch verbessert werden. Ich möchte daher allen Konventmitgliedern, es sind ja einige auch hier, andere nicht, besonders aber den Herren Farnleitner, Einem, Bösch und Voggenhuber hier ausdrücklich danken und allen anderen, die in den Arbeitskreisen mitgewirkt haben. Sie haben eine gute Arbeit für Europa und für Österreich geleistet.

Bei einem Verfassungsentwurf, und das muss man auch dazu sagen, der von über 100 Mitgliedern erarbeitet worden ist, kann man nicht wirklich alles basisdemokratisch abstimmen und im Konsens machen. Ich erinnere nur daran, dass der ganze Teil III im Plenum überhaupt nie diskutiert worden ist. Daher war es sehr sinnvoll und notwendig, dass dann die verfassungsrechtlich Befugten - der Rat, die Regierungskonferenz und das europäische Parlament - sehr eng zusammen gearbeitet haben und gemeinsam mit den nationalen Parlamenten einen Entwurf geschaffen haben, der meiner Meinung nach wirklich tragfähig ist.

Was bringt dieser neue Entwurf:

  1. Er bringt vor allem die lange umkämpfe Integration der Grund-, Freiheits- und Bürgerrechte in die einklagbare Europäische Verfassung. In Zukunft wird ein europäischer Bürger bis zum Europäischen Gerichtshof gehen können, wenn er direkt betroffen ist, um sein Recht einzuklagen. Bei der Durchsetzung dieser Regelung waren wir Österreicher übrigens federführend, denn wir haben in Österreich ein sehr weit ausgebautes individuelles Klagsrecht für unsere Bürger. Wir haben uns in diesem Bereich durchaus durchgesetzt.
  2. Ein neuer europäischer Außenminister wird geschaffen, die Institutionen werden abgeschlankt und die Verfahren vereinfacht. In Summe werden die Blockademöglichkeiten deutlich reduziert, und die Union der 25 gewinnt wieder eine Entscheidungskraft wie sie früher die Union mit neun Mitgliedsländern gehabt hat.


Das alles soll man nicht gering achten. Das ist ein ganz großer Wurf, der hier gelungen ist. Aber er ist natürlich auch ein Kompromiss. Wir haben nicht alle Vorschläge, die wir uns gemeinsam vorgenommen haben, zu einhundert Prozent durchsetzen können. Insgesamt sind jedoch wichtige Prinzipen, wie die Gleichheit der Mitgliedsstaaten, die Aufwertung der nationalen Parlamente, der Schutz der Minderheiten, die Gerichtshofkontolle für Ratsbeschlüsse durchgesetzt. Wir konnten auch erreichen, dass bei jenen Fragen, die für uns besonders wichtig und sensibel sind, wie etwa die Energienutzung, die Verwendung des Wassers, die Regelung von Grund und Boden und die Daseinsvorsorge, das Prinzip der Einstimmigkeit erhalten bleibt. Das sind sehr vernünftige Dinge, die hier in diesem neuen Verfassungsentwurf eingebracht worden sind. Ich freue mich sehr, dass wir heute eine einstimmige Beschlussfassung für das Ermächtigungsgesetz und demnächst für den Verfassungsvertrag selber bekommen werden. Das ist auch ein gutes Signal dafür, dass Österreich sein Verhandlungsergebnis als einer von 25 Staaten auch wirklich ernst nimmt. Die Parlamentarier haben über den Hauptausschuss, den Europaausschuss und die diversen Zwischeninformationen in jeder Phase des Verfassungsprozesses auch sehr intensiv mitgearbeitet.

Erlauben Sie, dass ich abschließend noch ein Wort zur Volksabstimmung hinzufüge. Ich verhehle nicht meine Skepsis darüber, dass so ein europapolitischer „Fleckerlteppich“ bei dem zehn Länder in einem Plebiszit abstimmen und 15 Länder diese Form der Abstimmung nicht wählen, unbefriedigend ist. Ich glaube, dass sich die Komplexität dieser Materie nicht für 25 einzelne Volksabstimmungen eignet. Was ich jedoch immer für richtig gehalten habe, Sie wissen es und ich habe es hier immer wieder gesagt, war, dass wir diese erste europäische Verfassung dem europäischen Volk vorlegen sollten. Ich halte es für sinnvoll, eine europäische Verfassung vom Europäischen Volk zu legitimieren. Ich habe mich dafür massiv eingesetzt. Ich habe leider keine Unterstützung dafür gefunden. Ich bin tief davon überzeugt, dass eine europäische Volksabstimmung eines Tages kommen wird. Sie soll sich etwa am Modell der Schweiz orientieren, wodurch es keine 25 oder 30 Blockademöglichkeiten mehr gäbe. Erforderlich wäre hingegen eine doppelte Mehrheit. Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung einerseits und Mehrheit der Staaten andererseits. Wie hervorragend das funktioniert, lebt uns die Schweiz vor. Ich werde weiter dafür kämpfen. Diesmal ist es nicht gelungen, aber ich hoffe, dass jetzt langsam auch durch die Erfahrungen dieser einzelnen nationalen Volksabstimmungen das Bedürfnis wächst, dass das eigentlich ein richtiger Weg wäre. Ich danke für die Zusammenarbeit und ich bitte um gemeinsame Beschlussfassung.

   

Vizekanzler GORBACH meinte, diese Verfassung stelle eine neue Qualität dar, die Europa mit mehr Transparenz ausstatte und den Mitgliedsländern mehr Möglichkeiten einräume. Die Werte der Union würden erstmals festgeschrieben, mit der Verankerung der Grundrechte würden diese nun auch verbindlich. Der Verfassungsvertrag habe weitere positive Auswirkungen, er sei daher zu begrüßen, so das Regierungsmitglied. Gleichzeitig wies der Vizekanzler auf die unbefriedigende Situation hinsichtlich der Atomfrage hin und sprach sich für ein Auslaufen des Euratom-Vertrages aus.

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) meinte, eine Volksabstimmung sei aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht notwendig, so sähen es jedenfalls die Experten. Sie sei daher der Meinung, dass das Parlament hier entscheiden solle, denn die Abgeordneten seien vom Volk mit seiner Vertretung betraut. Die Rednerin stellte dem Entwurf ein positives Zeugnis aus und trat für seine Annahme ein.

Abgeordneter Dr. WITTMANN (S) erläuterte das gewählte zweistufige Verfahren zur Ratifikation des Verfassungsentwurfs und meinte, diese Vorgangsweise sei sehr klug und weise. Man müsse sich sehr gewissenhaft mit diesen Verträgen auseinandersetzen und sollte alle Einwendungen entsprechend genau prüfen. Er glaube aber nicht, dass eine Volksabstimmung notwendig sei. Die Verfassung sei ein Schritt in die richtige Richtung, sie sollte daher unterstützt werden.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) unterstrich die Unterstützung seiner Fraktion für die gewählte Vorgangsweise, beklagte aber den mangelnden Enthusiasmus, handle es sich bei diesem Verfassungsentwurf doch um ein wichtiges Dokument in Richtung einer politischeren Union. Die wichtigen Visionen für das Projekt Europa bräuchten eine bessere Verankerung in der Bevölkerung, und hier bleibe noch einiges an politischer Arbeit zu tun. Hinsichtlich einer Volksabstimmung meinte der Redner, sollte es eine europäische Volksabstimmung nicht geben, dürfe eine nationale Volksabstimmung zumindest nicht ausgeschlossen sein.

Abgeordnete SBURNY (G) nannte die europäische Verfassung einen großen Fortschritt, würden doch wichtige demokratiepolitische Forderungen erfüllt, weshalb ihre Fraktion, bei allen Kritikpunkten, die es - etwa die neoliberalen Aspekte - auch gebe, für die Annahme dieser Verfassung eintrete.

Die Vorlage wurde einstimmig angenommen.
     
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